Der Junge
der St.-Joseph-Schule meistens. Er versteht nicht, warum man an der Schule überhaupt Rugby spielt. Die Brüder, die Österreicher oder Iren sind, legen bestimmt keinen Wert darauf. Bei den wenigen Malen, wo sie zuschauen kommen, machen sie einen verwirrten Eindruck und begreifen den Spielverlauf nicht.
In ihrem untersten Kommodenfach hat die Mutter ein Buch mit einem schwarzen Einband, auf dem Die ideale Ehe steht.
Es handelt von Sex; er weiß seit Jahren davon. Eines Tages entwendet er es aus dem Schubfach und nimmt es mit in die Schule. Es sorgt für Aufregung bei seinen Freunden; er ist offenbar der einzige, dessen Eltern ein solches Buch besitzen.
Obwohl die Lektüre enttäuscht – die Zeichnungen der Geschlechtsorgane wirken wie Abbildungen in naturwissenschaftlichen Lehrbüchern, und selbst im Abschnitt über Stellungen gibt es nichts Aufregendes (das Einführen des männlichen Organs in die Vagina klingt wie die Verabreichung eines Klistiers) –, studieren es die anderen Jungen gierig, bewerben sich lauthals darum, es auszuleihen.
Während des Chemieunterrichts läßt er das Buch in seinem Pult zurück. Als sie zurückkommen, macht Bruder Gabriel, der normalerweise recht fröhlich ist, eine frostige, mißbilligende Miene. Er ist überzeugt, daß Bruder Gabriel sein Pult geöffnet und das Buch gesehen hat; sein Herz schlägt heftig, als er auf die Bekanntgabe wartet und die Schande, die ihr folgen wird.
Das tritt nicht ein; doch in jeder beiläufigen Bemerkung Bruder Gabriels entdeckt er eine verhüllte Anspielung auf das Böse, das er, ein Nichtkatholik, in die Schule eingeschleppt hat. Alles ist verdorben zwischen ihm und Bruder Gabriel. Er bereut bitter, das Buch in die Schule mitgenommen zu haben; er trägt es nach Hause, legt es wieder in die Schublade zurück und schaut es nie wieder an.
Eine Weile treffen er und seine Freunde sich immer während der Pause in einer Ecke des Sportplatzes, um über Sex zu reden. Zu diesen Diskussionen steuert er Verschiedenes bei, was er aus dem Buch hat. Aber das ist offenbar nicht interessant genug; bald sondern sich die älteren Jungen zu eigenen Gesprächen ab, bei denen die Stimme plötzlich gesenkt und geflüstert wird, dann brüllendes Gelächter hervorbricht. Im Mittelpunkt dieser Gespräche steht Billy Owens, der vierzehn ist, eine sechzehnjährige Schwester hat und Mädchen kennt. Owens besitzt eine Lederjacke, die er zu Tanzveranstaltungen trägt, und hat eventuell sogar schon Geschlechtsverkehr gehabt.
Er freundet sich mit Theo Stavropoulos an. Es gibt Gerüchte, daß Theo eine Tunte, daß er schwul ist, aber er ist nicht bereit, ihnen zu glauben. Ihm gefällt, wie Theo aussieht, ihm gefällt seine schöne Haut, seine gesunde Gesichtsfarbe, sein makelloser Haarschnitt und die weltmännische Art, wie er seine Sachen trägt. Sogar der Schulblazer mit seinen blöden Längsstreifen wirkt gut bei ihm.
Theos Vater besitzt eine Fabrik. Was die Fabrik genau herstellt, weiß keiner so recht, aber es hat etwas mit Fisch zu tun. Die Familie wohnt in einem großen Haus im vornehmsten Teil von Rondebosch. Sie haben so viel Geld, daß die Jungen zweifellos ins Diözesan-College gehen würden, wenn sie keine Griechen wären. Weil sie Griechen sind und einen ausländischen Namen haben, müssen sie die St.-Joseph-Schule besuchen, die, wie er jetzt sieht, eine Art Netz darstellt, das Jungen auffangt, die sonst nirgends hinpassen.
Er bekommt Theos Vater nur einmal zu sehen – einen großen, elegant gekleideten Mann mit dunkler Brille. Seine Mutter sieht er häufiger. Sie ist klein und schlank und dunkelhaarig; sie raucht Zigaretten und fährt einen blauen Buick, von dem behauptet wird, er sei das einzige Auto mit automatischer Schaltung in Kapstadt – vielleicht in Südafrika.
Es existiert auch eine ältere Schwester, so schön, so kostspielig ausgebildet, eine so gute Partie, daß man sie nicht den Blicken von Theos Freunden aussetzen will.
Die Stavropoulos-Jungen werden morgens in dem blauen Buick zur Schule gefahren, manchmal von der Mutter, doch öfter von einem Chauffeur in schwarzer Uniform und Schirmmütze. Der Buick kommt großspurig in den Schulhof gerauscht, Theo und sein Bruder steigen aus, der Buick rauscht wieder ab. Er versteht nicht, wieso Theo das zuläßt. An Theos Stelle würde er sich einen Häuserblock vorher absetzen lassen.
Aber Theo nimmt die Scherze und das Gejohle gelassen auf.
Eines Tages lädt ihn
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