Der Junge
Regal.
Müßig schlägt er unter ›Vergewaltigung‹ nach. Schwarze stecken das männliche Organ manchmal ohne Penetration zwischen die Schenkel der Frau, erläutert eine Fußnote. Diese Praxis fällt unter Gewohnheitsrecht. Sie stellt keine Vergewaltigung dar.
Beschäftigen sie sich bei Gericht mit solchen Sachen, fragt er sich – streiten sie, wohin der Penis gesteckt wurde?
Die Praxis seines Vaters geht offenbar gut. Er beschäftigt nicht nur eine Schreibkraft, sondern auch einen Rechtsreferendar namens Eksteen. Eksteen überläßt er die Routinesachen wie Eigentumsübertragungen und Testamente; seine eigenen Bemühungen widmet er der spannenden Gerichtsarbeit, die darin besteht, Leute freizukämpfen . Täglich kommt er mit neuen Geschichten von Leuten, die er freigekämpft hat, heim, Geschichten davon, wie dankbar sie ihm sind.
Die Mutter interessiert sich weniger für die Leute, die er freigekämpft hat, als für die wachsenden Außenstände.
Besonders ein Name taucht immer wieder auf: Le Roux, der Autohändler. Sie läßt dem Vater keine Ruhe: er ist Anwalt, da muß er doch Le Roux dazu bringen können, zu bezahlen. Le Roux wird seine Schulden ganz gewiß am Monatsende begleichen, antwortet der Vater, er hat es versprochen. Doch am Ende des Monats zahlt Le Roux wieder nicht.
Le Roux bezahlt nicht, und er verdrückt sich auch nicht. Im Gegenteil, er lädt den Vater zu Drinks ein, verspricht ihm mehr Arbeit, malt rosige Bilder davon, wieviel Geld mit dem Gebrauchtwagenhandel zu machen sei.
Die Streitereien zu Hause werden zorniger, gleichzeitig aber vorsichtiger. Er fragt die Mutter, was vor sich geht. Sie sagt bitter, Jack habe Le Roux Geld geliehen.
Mehr braucht er nicht zu hören. Er kennt den Vater, weiß, was vor sich geht. Sein Vater giert nach Anerkennung, würde alles tun, um beliebt zu sein. In den Kreisen, in denen sich der Vater bewegt, kann man sich nur auf zweierlei Art beliebt machen – indem man Leuten die Zeche zahlt und indem man ihnen Geld leiht.
Kinder sollen eigentlich nicht in Bars gehen. Aber in der Bar des Fraserburg-Road-Hotels haben er und sein Bruder an einem Tisch in der Ecke gesessen, Orangensaft getrunken und zugesehen, wie der Vater eine Runde Brandy und Soda nach der anderen für Fremde bezahlt hat, und haben so diese andere Seite von ihm kennengelernt. Er kennt also die äußerst joviale Stimmung, in die der Brandy ihn versetzt, das Prahlen, die großen verschwenderischen Gesten.
Begierig und finster hört er sich die Klagemonologe seiner Mutter an. Obwohl er nicht länger auf die Schliche seines Vaters hereinfällt, kann er sich nicht darauf verlassen, daß sie hart bleibt – zu oft in der Vergangenheit hat er erlebt, wie der Vater sie beschwatzt hat. »Hör nicht auf ihn«, warnt er sie. »Er belügt dich die ganze Zeit.«
Der Ärger mit Le Roux wird schlimmer. Es gibt lange Telefongespräche. Ein neuer Name taucht auf: Bensusan.
Bensusan ist zuverlässig, sagt die Mutter. Bensusan ist Jude, er trinkt nicht. Bensusan wird Jack retten, ihn auf den rechten Pfad zurückführen.
Aber da ist nicht nur Le Roux, stellt sich heraus. Da sind noch andere Männer, andere Trinkkumpane, denen der Vater Geld geliehen hat. Er kann es nicht glauben, kann es nicht verstehen. Wo kommt das ganze Geld her, wenn der Vater nur einen Anzug hat und ein Paar Schuhe und mit dem Zug zur
Arbeit und zurück fahren muß? Verdient man wirklich so schnell so viel Geld damit, Leute freizukämpfen?
Er hat Le Roux nie zu sehen bekommen, doch er kann ihn sich sehr gut vorstellen. Le Roux wird ein rotgesichtiger Afrikaaner mit blondem Schnurrbart sein; er wird einen blauen Anzug und einen schwarzen Schlips tragen; er wird ein wenig dick sein und viel schwitzen und mit lauter Stimme dreckige Witze erzählen.
Le Roux sitzt mit dem Vater in der Bar in Goodwood. Wenn der Vater nicht hinsieht, gibt Le Roux den anderen Männern in der Bar Zeichen. Le Roux verkauft den Vater für dumm. Er empfindet brennende Scham darüber, daß sein Vater so dämlich ist.
Das Geld, stellt sich heraus, gehört nicht wirklich dem Vater.
Daher hat sich Bensusan eingeschaltet. Bensusan arbeitet für die Rechtssozietät. Die Sache ist ernst: das Geld stammt von Vaters Treuhandkonto. »Was ist ein Treuhandkonto?« fragt er die Mutter. »Das ist Geld, das er als Treuhänder verwaltet.«
»Warum setzen ihn Leute als Treuhänder für ihr Geld ein?« fragt er. »Die
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