Der Kaffeehaendler - Roman
hätte die ganze Schale auf einmal austrinken und mehr verlangen können, doch sie durfte ihn nicht merken lassen, wie sehr sie diese Frucht liebte, die sie eigentlich gar nicht kennen sollte.
»Ich bin nicht höflich«, sagte sie.
Sie saßen eine Zeit lang schweigend beisammen und nippten an ihren Getränken, wobei sie sich nicht so recht in die Augen schauten, bis Hannah den Drang verspürte zu sprechen. Es war, als ob sich in ihr etwas gelöst hatte, eine Art Fessel. Sie wollte aufstehen und im Zimmer umherlaufen und reden. Sie erhob sich nicht, aber zu guter Letzt entschloss sie sich, etwas zu sagen.
»Ich glaube, Sie versuchen, mich abzulenken, Senhor. Bewirten mich mit diesem neuen Tee, damit ich den fremden Mann vergesse, der mich angesprochen hat?«
Beinahe hätte sie sich die Hand vor den Mund geschlagen. So etwas hätte sie nie sagen dürfen. Es war genau die Art von Frechheit, die ihr Vater mit einer Ohrfeige beantwortet hätte. Aber nun war es heraus, und ihr blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, was geschah.
Miguel sah sie an, und in seinem Gesicht blitzte etwas auf, etwas, das Hannah erfreulich fand. »Ich wollte Sie nicht ablenken. Ich wollte nur – ich wollte dies nur mit Ihnen teilen.«
»Sie sind großzügig«, sagte sie, erstaunt über ihre Kühnheit, noch bevor ihr die Worte über die Lippen gekommen waren. Konnte sie sich nicht mehr beherrschen? Hatte ein Dämon Besitz von ihrem Körper ergriffen?
»Sie finden, ich weiche Ihnen aus«, sagte er und musterte
sie dabei, als ob sie eine Neuentdeckung der Naturwissenschaft wäre, »doch ich werde Ihnen alles erzählen. Wissen Sie, der Mann ist ein schrecklicher Schurke. Er hat eine Tochter, die er mit einem sehr alten Mann, einem knausrigen Großhändler, verheiraten will, einem Geizhals der übelsten Sorte. Er wollte ihren wahren Liebsten von Piraten entführen lassen, aber dieser erfuhr von dem Plan und floh. Die Tochter ist ebenfalls geflohen, deshalb kam der Schurke, weil er wusste, dass ich mit dem Liebespaar befreundet bin, zu mir und versuchte mich zu zwingen, ihren Aufenthaltsort zu nennen.«
Hannah lachte, so laut, dass sie sich diesmal genötigt fühlte, wirklich die Hand vor den Mund zu schlagen. »Die Tragödie, von der Sie da berichten, würde sich hübsch auf der Bühne machen.«
Einen Moment lang wünschte sie, ihr Vater – oder sonst jemand – wäre da, um sie zu ohrfeigen. Wie hatte sie so naseweis sein können? Trotzdem, es stimmte. Miguels Lügenmärchen klang wie die Bühnenstücke, die sie daheim in Lissabon mit einiger Regelmäßigkeit gesehen hatte. Manche Männer gingen auch hier in Amsterdam mit ihren Frauen in das jüdische Theater, doch Daniel fand das unpassend für eine Frau.
Ihr Fuß schwirrte hin und her wie eine Taube an einem Bäckersstand auf der Suche nach Krumen. Dieser Kaffee ist kein Getränk für den Geist, erkannte sie, er ist ein Getränk für den Körper. Und für das Mundwerk. Er weckte den Wunsch in ihr, alles Mögliche zu sagen: Ich finde Sie bemerkenswert anziehend. Wie gern wäre ich mit Ihnen verheiratet statt mit Ihrem kalten Bruder.
Sie sagte nichts von alledem. Sie hatte sich doch noch in der Gewalt.
»Sie glauben mir nicht, Senhora?«
»Sie müssen mich für reichlich dumm halten, wenn Sie annehmen, ich glaube Ihre Geschichte.« Die Worte schienen von
selbst aus ihr hervorzudrängen. Ihre Eltern hatten ihr beigebracht, stets sanft zu sein. Ihr Ehemann hatte ihr mit tausend unausgesprochenen Worten zu verstehen gegeben, dass er nur Gefügigkeit von ihr dulden würde. Dabei fühlte sie sich nicht gefügig. Es widerstrebte ihr, aber sie hatte sich nie dagegen aufgelehnt, gefügig zu sein.
Der Kaffee, sagte sie sich. Miguel hat mich, wissentlich oder nicht, verhext und sich selbst vielleicht auch. Wie lange würde es dauern, bis sie sich Beleidigungen an den Kopf warfen oder sich unbeherrscht in die Arme fielen?
Es war sinnlos, dem Kaffee die Schuld zu geben. Das Getränk hatte sie nicht verhext, ebenso wenig, wie ein Glas Wein sie verzaubern konnte. Es machte sie im gleichen Maße wach, wie Wein sie beruhigte. Diese Dreistigkeit, diese Keckheit, die sich in ihrem Mund entfaltete, war nicht auf Hexerei zurückzuführen, sondern kam aus ihr selbst. Der Kaffee ließ ihr schlechtes Benehmen nur offen zutage treten.
Als sie die Wahrheit erkannte, wurde ihr vieles klar, aber nichts so sehr wie dieser Entschluss: Sie würde so oft wie möglich dreist und keck sein.
Einstweilen jedoch
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