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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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kein Tropfen auf das Pergament fiel. Dann verschloss er das Tintenfässchen, wischte die Feder trocken und wartete, bis auch die Schrift getrocknet war. Solange sein Vater nicht nach Hause käme, konnte er ein wenig schlafen und von Mariam träumen. Als er vom Lärm seines aufgeregten Vaters wach wurde, erinnerte er sich an seinen Traum; wirre Erlebnisse mit Sean, Layla und einem großen, weichen Teppich.
     
     
    Am frühen Abend, nach dem Essen, las Suleiman beim Schein von eineinhalb Dutzend flackernder Kerzen seinem Vater den Entwurf des Briefes vor. Er las langsam, betonte Wort für Wort und bemühte sich, dies mit unbewegter Miene zu tun.
    Abu Lahab nickte schweigend, hörte nicht auf zu nicken, erstarrte und schüttelte wortlos den Kopf und knetete seine Finger, nickte wieder und sagte, nachdem Suleiman geendet hatte und den Kopf hob: »Gut gemacht, Söhnchen. Woher hast du nur alle die schmeichelnden Worte? Und – warum soll Layla mit dem Boten reiten? Und warum hast du von dem Juden geschrieben? Woher weißt du, dass…?«
    »Du hast es mir selbst gesagt. Aber abgesehen davon: Jerusalem ist kleiner, als du glaubst, Vater. Nicht nur du hast deine Späher und Zuträger. Ich bin hier aufgewachsen – wie viele in meinem Alter, jünger oder älter, kenne ich wohl? Hunderte von Augenpaaren sehen mehr als du oder ich allein. Oder als Hasan und Abdullah.«
    Suleiman blickte furchtlos in die Augen seines Vaters und sah, dass dieser über mindestens zwei Stellen seines Briefentwurfs grübelte. Layla und der unbekannte Jude. Er hatte bisher nichts abgestritten, also waren es tatsächlich Abdullahs rücksichtslose Gehilfen gewesen, gegen die Sean und der Jude nachts am Simon-Grabmal gekämpft hatten.
    »Dein Gefangener, wenn er wirklich ein Jude ist, wird dem Kaiser berichten, wie es um deine beispiellose Gastfreundschaft steht. Die Gastfreundschaft eines gerechten Muslims. Gefangener im Haus mit der schwarzen Tür? O Vater! Also – ich schreibe den Brief so, wie ich ihn vorgelesen habe, und du umgarnst den Kaiser mit der liebreizenden Layla. Und morgen früh, sage ich dir, wird dein Gefangener dein hoch geschätzter Gast, der sich – außer, dass er das Haus noch nicht verlassen kann – wohlfühlt.«
    »Einverstanden. Listig wie ein Wüstenfuchs und klug wie ein junger Gelehrter. Du bist wirklich mein Sohn!« Abu Lahab wiegte den Kopf. Er schien an der Selbstverständlichkeit, mit der Suleiman sein Wissen, seine Erkenntnisse und seine Forderungen formuliert hatte, eine gewisse Freude und den Stolz des Vaters zu empfinden. Andererseits ahnte Suleiman, dass er seinem Vater zwei herbe Schläge versetzt hatte, und sein Vater war niemand, der nicht zurückschlug. Wahrscheinlich dann, wenn Suleiman es am wenigsten erwartete. »Schreib also diesen Brief auf Pergament und bring ihn zu Nadschib, zur Schmiede. Er wird ein würdiges Behältnis für das Schreiben haben. Diese Leichtigkeit des Gedankenflusses! Du bist wirklich und wahrhaftig der Spross meiner tüchtigen Lenden.«
    »Wessen sonst?«, entgegnete Suleiman knapp. »Und Abdullah wird mit dem Brief und Layla nach Askalon reiten? Wann?«
    Abu Lahab holte tief Luft und wölbte seinen Brustkorb. »Wie kommst du auf Abdullah?«
    »Er ist der Zuverlässigste von allen«, sagte Suleiman ruhig. »Der Schnellste und der Besonnenste. Du machst keinen Fehler, wenn du ihn schickst.«
    Abu Lahab begann den Ring an seinem Mittelfinger zu drehen und sagte: »Vielleicht nicht. Aber ich kenne jemanden, der für diesen Auftrag besser geeignet ist.«
    »Wen?« Suleimans Neugierde wuchs ins Unermessliche.
    »Dich, mein Sohn«, erklärte Abu Lahab mit einer Selbstverständlichkeit, die Suleiman im ersten Augenblick die Sprache verschlug. »Bereite dich vor. In drei, vier Tagen reitest du.«
    Suleiman starrte seinen Vater an. Er hatte nicht verloren, aber gewonnen hatte er auch noch nicht. Wenn jemand von der derzeitigen Entwicklung profitierte, so waren es Sean und Layla. Suleiman schob die Briefbögen zusammen, rollte sie auf und verknotete sie mit einem Band.
    »Ich werde also nach Askalon reiten«, sagte er und hoffte, dass sein Vater die Enttäuschung aus seiner Stimme nicht heraushörte.
    Abu Lahab hörte auf, am Ring zu drehen, und stand auf. »Bist du morgen Mittag mit der Reinschrift des Briefes fertig?«
    Suleiman nickte.
    »Gut, dann erwarten wir dich in der Schmiede. Ich und Nadschib. Abdullah wird für alles andere sorgen: Pferde, Sättel, Proviant und Begleitung. Den Rest

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