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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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bereden wir morgen. Gute Nacht, mein Sohn.«
    »Gute Nacht, Vater«, antwortete Suleiman.

 
    5
     
     
     
    Briefe, Listen und Pläne
     
    Aus einem halben Dutzend Spalten und Löchern, die dort entstanden waren, wo Lehmziegel fehlten, drang Licht in das muffige Gewölbe. Drei gezackte Öffnungen, kaum größer als eine Handfläche, ließen Sonnenlicht in den Kerker hinein. Die Strahlen wanderten ebenso wie die hellen Mehrecke an der gegenüberliegenden Wand von unten links nach rechts oben, wo sie im moosbedeckten Gewölbe verglommen. Die Wände bestanden aus wuchtigen, uralten Quadern, die vor Nässe trieften und wellenförmig mit weißem, schwärzlichem und graugelbem Schimmel überzogen waren. Eine schmale Gittertür aus Holzbalken, mit Eisen verstärkt und verstrebt, ging auf einen Korridor hinaus, in dem eine einsame Ölfunzel blakte.
    Auf dem blanken Steinboden vor Elazar standen ein Krug, eine leere Schüssel, ein Becher und ein leeres Körbchen. Das Wasser, den fade schmeckenden Brei und die harten Fladenbrote hatte Elazar gegessen und getrunken. Jetzt, als ihn die schräg einfallenden Lichtbalken die Einzelheiten seines Gefängnisses erkennen ließen, war er wieder bei Sinnen. Seine Schultern und sein Kopf schmerzten; einige Finger waren geschwollen und aufgeschürft. Er war ratlos, aber langsam beruhigten sich seine Gedanken wieder, und er begann seine Lage zu überdenken.
    »Sie haben mich nach dem Gebet an Simons Grab überfallen, niedergeschlagen, verschleppt und eingekerkert. Und warum das alles? Wegen Lösegeld?«
    Er saß auf einem Strohbündel, das auf dem Steinboden lag, und lehnte an der feuchten Wand. Sein Gehstock war nirgends zu sehen. Er hatte noch all sein verstecktes Geld und seinen zerschlissenen Mantel. Und seinen kleinen Dolch von der ›Ring des Dogen‹, den er an der linken Wade festgeschnallt trug.
    Wer in Jerusalem würde Lösegeld für einen armen jungen Juden zahlen? Dass er Jude war, hatten die Entführer auch nur erkennen können, weil er zu lange allein am Grabmal des Hohepriesters gebetet hatte. Er zuckte mit den Schultern, was am ganzen Körper stechende Schmerzen hervorrief.
    Bist du angekommen, Elazar ben Aaron?, fragte er sich verzweifelt. An deinem Ziel, in der Heiligen Stadt?
    Er fühlte sich hilflos, aber während seiner langen Wanderung hatte er oftmals Hilflosigkeit verspürt, und er hatte sich jedes Mal daraus befreien können. Aber er war noch nie eingekerkert worden, nie hatte er Ketten oder Fesseln getragen, und auch jetzt konnte er sich frei bewegen. Zwölf Schritte von einer Wand zur anderen, neun Schritte im rechten Winkel dazu. Der Korridor schien leer zu sein, in dem finsteren Gang regte sich nichts.
    Gab es eine Möglichkeit, aus diesem Gefängnis zu entkommen? Elazars Blicke glitten über die Quadern, die Fugen, die Löcher in der Wand, die verrosteten Angeln und die Schlitze im Stein, in die sich die Riegel geschoben hatten. Weder unter der Gittertür noch darüber war genug Platz, um sich hindurchzuquetschen. Elazar schnallte den Dolch ab und begann, leise auf die Bodensteine zu klopfen. Vielleicht gab es hier irgendwo eine verborgene Falltür.
    Auf Knien kroch er zuerst die Wände entlang, dann arbeitete er sich immer weiter zum Mittelpunkt vor. Aber der Boden war fest wie Fels. Elazar blieb vor der Tür stehen und kratzte mit der Dolchspitze an den Angeln. Dicker Rost rieselte herunter, aber das Eisen darunter war noch immer daumendick.
    Elazar wunderte sich, dass ihn seine Entführer anscheinend nicht durchsucht und ihm Kleidung und Stiefel nicht vom Leib gerissen hatten. Sie brauchten ihn lebend und unverwundet, sagte er sich und schöpfte wieder ein wenig Hoffnung. Auch die andere Türangel würde er mit dem Dolch nicht aufbrechen können. Die Riegel?
    Er griff durch das Gitter und tastete nach den Riegeln. Nur die Kanten vermochte er zu erreichen, aber die schweren Eisenplatten ließen sich nicht bewegen. Auch mit dem Dolch als Verlängerung rührte sich nichts; die Enden der Riegel steckten tief im Stein.
    »Hoffnungslos«, murmelte er und stocherte mit der Dolchspitze in den Fugen des Türgitters, zwischen morschem Holz und rostigen Eisenbändern. Bröseliges Holz rieselte aus einigen Ecken, in anderen ertönte nur ein metallisches Scharren. Elazar hörte zu stochern auf und lauschte. Weder aus dem steinernen Korridor noch von der löchrigen Mauer her gab es Geräusche. Er schabte und kratzte weiter und kniete schließlich auf dem schmutzigen

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