Der Kaiser des Abendlandes
Stroh, während er die am meisten verfaulten Querstreben des Türgitters durchstieß. Vielleicht konnte er sich dicht über dem Boden ein Schlupfloch frei kratzen.
Ungefähr eine Stunde lang, während die Sonnenstrahlen und die hellen Flecken auf der Wand aufwärts wanderten, kratzte, schnitt und feilte er an den morschen Stellen des Vierecks. Dann begann sein Arm zu schmerzen.
Plötzlich hörte er Stimmen, Schritte und leises Klirren. Die Sonnenflecken hatten sich rötlich gefärbt und berührten fast das Gewölbe des Kerkers. Elazar zog sich, rückwärtsgehend, zu dem Strohbündel zurück, lehnte sich gegen die Mauer und sah im Korridor den Schein einer näher kommenden brennenden Fackel.
Zwei Gestalten kamen auf sein Gefängnis zu. Sie trugen dunkle Burnusse und hatten die Gesichter bis zu den Augen mit schwarzen Tüchern bedeckt. Ein Mann hielt die Fackel, der andere trug einen Krug und ein Körbchen. Die Männer blieben vor der Tür stehen. Ketten klirrten, dann schob der Fackelträger mit einiger Mühe drei schwere Riegel zur Seite und öffnete die Tür.
»Saalam«, sagte Elazar. »Warum bin ich hier?«
»Du wirst gebraucht.«
Der zweite Entführer stellte den Krug auf den Boden und nahm das leere Geschirr an sich. Beide Männer trugen Schwerter und Dolche in den Gürteln. Elazar kam gar nicht auf den Gedanken, fliehen zu wollen. Er war zu müde, und sein schmerzender Körper war ihm im Weg. Er sah zu, wie der eine Entführer drei Schritte in den Korridor zurückging und zur Seite trat, um dem anderen Platz zu machen. Die Riegel kreischten und knirschten und verschwanden tief in den Schlitzen.
»Wer braucht mich?«, rief Elazar. »Wie lange wollt ihr mich eingesperrt halten?«
Er bekam keine Antwort. Die Männer und die schwankende Fackelflamme entfernten sich durch den Korridor. Elazar sah, dass das lang gestreckte Gewölbe ungefähr dreißig Schritte lang war und in einer Treppe endete, die aufwärts führte. Dorthin verschwanden die beiden Männer.
Wenigstens lassen sie mich nicht verdursten und verhungern, dachte er, kroch zum Krug und zum Korb und zog sich dabei auf den Platz zurück, an dem er zuvor gesessen hatte. Er war sicher, dass sie ihn bewachten und dass sie ihn nicht entkommen lassen würden. Aber er war es sich selbst schuldig, es wenigstens zu versuchen.
Nachdem er ein Drittel des Wassers getrunken und die Hälfte des Essens heruntergewürgt hatte, wartete er eine Zeit lang und fing dann wieder an, mit dem Dolch zu stochern und zu schaben.
Drei Mal las Uthman den Brief vor und übersetzte ihn für Sean und Henri. Suleiman saß schweigend daneben, hörte gespannt zu, beobachtete die Gesichter der Freunde und freute sich über jedes Zeichen der Zustimmung. Das Schreiben an den Kaiser des Abendlands, dessen Entwurf Suleiman mitgebracht hatte, schien die Absicht seines Vaters überzeugend genau zu schildern und andererseits auch die Unwahrscheinlichkeit des Erfolgs.
Als Uthman überzeugt war, dass jeder alle Worte verstanden und den Sinn erfasst hatte, sagte Suleiman: »Bis vor kurzem war ich sicher, dass Abdullah den Brief nach Askalon bringen würde.« Er stemmte die Fäuste in die Seiten, schüttelte wild den Kopf und rief unterdrückt: »Und zu meinem Erstaunen oder fast Entsetzen hat mein Vater befohlen, dass ich dem Kaiser den Brief überbringe. Zusammen mit der wunderschönen Layla.« Er zeigte auf Sean und sagte: »Ich werde dorthin reiten, aber nur an der Seite meines Freundes Sean.«
»Ich werde mitreiten und dich beschützen«, antwortete Sean grinsend. »Aber zuerst müssen wir den jungen Juden befreien.«
»Ein Schritt nach dem anderen. Das übernehme ich«, sagte Suleiman eifrig. »Und ich weiß auch schon wie.«
Henri tippte mit dem Finger auf Suleimans Briefentwurf und sagte: »Wenn du – angeblich – in Askalon auf den Kaiser wartest, kannst du die Antwort des Kaisers in deiner Satteltasche haben. Denn die Antwort schreiben wir – hier und jetzt. Ich brauche mich also nicht zu verkleiden, weil du auch nicht nach Askalon reitest.«
Suleiman runzelte die Stirn. »Langsam. Noch einmal. Erklär mir, wie du das meinst, Henri.«
»Wenn du, Sean und Layla sich auf den Weg zum Kaiser machen, bedeutet das zunächst einmal, dass ihr für eine bestimmte Zeit nicht in Jerusalem zu finden seid«, sagte Henri. »Die Dauer eurer Abwesenheit entspricht der Zeit für den Ritt nach Askalon, einem kurzen Aufenthalt dort und dem Ritt zurück in die Stadt. Du kannst die
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