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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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hören.« Unsere Sitznachbarn im Zug fingen wieder alle gleichzeitig an zu lachen, verstummten aber sofort wieder, als sie Großvaters irritierten Blick bemerkten.
    Nur bei der letzten Hantel, erzählte er, habe er tatsächlich so etwas wie Anspannung in Lians Gesicht bemerken können, und vielleicht war es auch nicht nur ein dramaturgischer Kniff, dass sie drei Versuche benötigte, um das Gewicht in die Höhe zu stemmen, sie machte ein paar Schritte vor und zurück, dann hatte sie das Gleichgewicht gefunden, und während das Publikum schon wie wild applaudierte, ließen sich von oben zwei der Akrobaten auf der Hantel nieder, dann sprangen immer mehr dazu, bis am Ende die ganze Truppe eine Pyramide auf der Eisenstange bildete, und als der Jubel kein Ende fand, hob Lian erst ihr linkes Bein vom Boden, ließ die Hantel dann mit der rechten Hand los und warf Kusshände in den tobenden Zuschauerraum.
    Er sehe sie noch genau vor sich, erzählte Großvater, wie die Adern auf ihrer Stirn so anschwollen, dass sie selbst durch das ganze Fett klar hervortraten, wie der Schweiß Schlieren auf ihrer gepuderten Haut hinterließ, wie ihr ganzer Körper so bebte und wogte, dass er den Luftzug selbst in der fünften Reihe noch spüren konnte.
    »Nie zuvor und auch danach nie wieder habe ich etwas so Schönes gesehen«, sagte er. »Ich war vollkommen glücklich und gleichzeitig am Boden zerstört, weil ich wusste, dass ich von nun an nicht mehr ruhen würde, bis es mir gelungen war, diese Frau zu erobern.«
    Ausgerechnet in diesem Moment erreichten wir Luoyang .
    Die mitreisenden Chinesen drückten Großvater alle ihre Visitenkarten in die Hand und verabschiedeten sich ausgiebig. »Sehr angenehme Menschen«, sagte Großvater, als wir den Zug verließen.
    Dass Luoyang keine schöne Stadt sein würde, wussten wir schon aus dem Reiseführer. Wie die meisten Touristen waren auch wir wegen der berühmten Longmen-Grotten hier, zu denen wir morgen früh aufbrechen wollten. Auf dem Bahnhofsplatz tummelten sich Enten und Gänse, sonst ist die Stadt aber sehr ruhig, die Menschen gehen hier deutlich langsamer als in Peking oder Xi ' an, sie schleichen eher, es wird wenig und fast schüchtern gehupt, kaum geschrien . Eine Schicht Melancholie liegt über Luoyang , vielleicht weil diese einstige Metropole (immerhin sechzehneinhalb Dynastien lang diente sie als Hauptstadt) seit ihrer Zerstörung im 12. Jahrhundert noch nicht ganz wieder die Alte geworden ist, man lässt sich eben Zeit hier.
    Wir wohnen im » Shenjian Hotel«, angeblich in Bahnhofsnähe. Da es aber in Luoyang keine erkennbaren Hausnummern gibt (der Grund dafür, so sagte man uns, sei eine Lieferverzögerung aus der Tang-Dynastie) und das Hotel außerdem kein englischsprachiges Schild besitzt, brauchten wir fast eine Stunde, bis wir es gefunden hatten. Zwischendurch hatten wir versucht, Passanten nach dem Weg zu fragen, aber die betrachteten die Schriftzeichen in unserem Reiseführer immer nur mit so traurigem Blick, dass Großvater ihnen mitfühlend auf die Schulter klopfte.
    Abends aßen wir im » Zhe Bu Tong Fandian « das berühmte Wasserbankett. Es besteht aus vierundzwanzig Gängen, bei denen sich keine Zutat wiederholen darf Früher wurde das Bankett tatsächlich auf dem Wasser eingenommen, man mietete sich eine Art Floß und wurde vom rudernden Kellner zu den verschiedenen Gängen befördert, die auf kleinen Inseln vor sich hin köchelten . Heutzutage erinnert daran nur noch ein kleiner Seerosenteich in der Mitte des Restaurants, in dem das traditionelle Gelage mit liebevoll bemalten Plastikfiguren nachgestellt wird.
    Die einzelnen Gänge sind natürlich nicht sehr üppig, dennoch nahm ich von den letzten fünf nur wenige Bissen, Großvater schien hingegen ein wenig enttäuscht zu sein. Er habe genau mitgezählt, ließ er mich dem Kellner erklären, es seien nur dreiundzwanzig Teller gewesen. So lange beharrte er auf seiner Meinung, bis ihm schließlich noch eine Schale Reis gebracht wurde, die er dann aber kaum anrührte. Sie falle »qualitativ ein wenig ab«, meinte er.
    Während des Banketts versuchte ich das Gespräch natürlich wieder auf Lian zu lenken, wie er sie denn schließlich kennengelernt habe, fragte ich ihn irgendwann zu Anfang der Zehnergänge. Er stocherte mit der Gabel, auf der er immer noch hartnäckig bestand, in etwas herum, von dem man nur hoffen konnte, dass es sich um eine Art Pilz handelte, dann schenkte er uns beiden behutsam Tee nach, bevor er

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