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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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Nudeln in Erdnusssoße, angeblich eine Spezialität der Region, was Großvater aber nicht glaubte. Er ließ sie sich aufwärmen und rief dem Kellner noch hinterher: »Als Nächstes sind die Flecken auf der Tischdecke auch eine Spezialität der Region.« Ich aß die Nudeln kalt.
    Die Fahrt nach Luoyang dauerte fünf Stunden. Großvater las eine chinesische Zeitung, die er sich am Bahnhof gekauft hatte (»Das ein oder andere werde ich mir schon erschließen können«), ich blätterte ein wenig im Reiseführer und sah dann aus dem Fenster, hinter dem sich sanft bewaldete Hügelketten schwangen, dazwischen riesige Reisfelder, ländliche Siedlungen, die mit ihren Bambushütten und Maultieren und bunt bekittelten Bäuerinnen aus der Zeit gefallen schienen.
    Ich wollte von Großvater mehr über Lian erfahren, auch wenn ich befürchtete, dass er dieses Thema bereits wieder abgehakt hatte, dass er auf mein Nachfragen hin kaum von seiner Zeitung aufblicken würde, dass er »Du immer mit deiner Lian « sagen würde, um dann irgendeine einsilbige Antwort zu murmeln.
    Wie sie sich eigentlich kennengelernt hätten, Lian und er, fragte ich dennoch, und Großvater sah mich unschlüssig an, faltete dann bedächtig seine Zeitung zusammen und legte sie neben sich. »Interessiert dich das wirklich?«, fragte er, und ich nickte heftig. Großvater lächelte, so lange her sei das alles schon, dass ich ihm nachsehen müsse, wenn er sich nicht mehr an alles genau erinnere.
    Ein junger Mann sei er damals jedenfalls gewesen, in der Blüte seiner Jahre, er habe gar nicht gewusst, wohin mit seiner Energie und seinen Talenten, alles habe er ausprobieren wollen, ständig habe er sich deshalb neue Betätigungen gesucht, und so sei er eines Spätsommers, an das Jahr könne er sich nicht mehr erinnern, als Zauberer im damals landesweit berühmten Variete »Tamtam« gelandet. Wie ich ja wisse, beherrsche er einige recht erstaunliche Tricks, die ihn im »Tamtam« schnell zu einer der Hauptattraktionen gemacht hätten.
    »Doch nicht etwa der Schnürsenkeltrick?«, fragte ich ungläubig, und Großvater schien beleidigt. »Unter anderem«, sagte er.
    Ich traute meinen Ohren nicht: der Schnürsenkeltrick.
    Wisst Ihr noch, wie Großvater ihn früher bei jeder Geburtstagsfeier aufgeführt hat, meistens gelang er ja nicht, und Großvater rief dann immer schnell: »Wer will noch ein Würstchen?«
    »Wie auch immer«, fuhr Großvater jetzt fort. Es sei eine schöne Zeit gewesen im »Tamtam«, viel habe er nicht verdient, aber auch nicht viel gebraucht, die Frauen hätten es auch damals schon gut mit ihm gemeint, mitunter vier Mal habe er in einer Nacht das Bett gewechselt, aber sein Herz, und dabei sah er mich ernst an, sein Herz sei noch so unberührt gewesen wie sein eigenes Kopfkissen am Morgen.
    Beim »Tamtam«, erzählte er, sei es üblich gewesen, das Theater immer mal wieder an fahrende Zirkusse zu vermieten, und so kam es, dass in diesem Jahr eine chinesische Schaustellergruppe zu Gast war. Zu jener Zeit, betonte Großvater, sei das höchst exotisch gewesen, und man habe mit hohen Einnahmen gerechnet, weil viele Menschen schon allein deshalb zu den Auftritten kommen würden, um überhaupt einmal einen leibhaftigen Chinesen zu sehen.
    Es sei mitten in der Nacht gewesen, erzählte Großvater, als die Schausteller ankamen. Man habe ihn in seinem kleinen Zimmer über dem »Tamtam« geweckt, damit er beim Ausladen der Wagen helfe, auch wenn es wenig auszuladen gab, Akrobaten reisten schließlich mit leichtem Gepäck, ein Trapez, ein Reifen, ein Hochseil; der Schwertschlucker benötigte nur sein Schwert, der Entfesselungskünstler seine Fesseln, lediglich als es an den letzten Wagen ging, waren sie alle zusammen gerufen worden, eine Vielzahl von Hanteln befand sich darin, und schon die kleinste ließ sich kaum bewegen, die größte trugen sie schließlich mit zehn Mann, und auch das nur unter größten Anstrengungen. Wer um Himmels willen denn diese Gewichte stemmen wolle, habe Großvater einen der chinesischen Helfer in einer Verschnaufpause gefragt, und der sei ganz erstaunt gewesen, dass Großvater das nicht wisse. »Die gehören Lian «, habe der Helfer dann ehrfürchtig in überraschend gutem Deutsch geantwortet, »dem Massiv von Macam , für sie seien diese Eisenklötze so leicht wie Sojabohnen. Warum dann, habe Großvater gefragt, diese Lian nicht selbst den Transport übernehmen könne, und der Helfer habe sich erschrocken umgesehen. Lian sei eine

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