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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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bekamen. Bienen tanzten um seine Hände
     und sangen ihr tiefes, ernstes Lied.
    Bald konnte er kaum mehr seine Hände um den weißen Flausch schließen. So ließ Germunt die Bäume stehen, schob das Zauntor
     mit dem Ellenbogen auf und ging zurück zum Palast. Vor Stillas Tür blieb er stehen. Er hörte ihre Stimme leise summen, also
     war sie schon wach.
    »Stilla? Darf ich eintreten?«
    Es wurde still. »Ja.«
    Seine Schulter stieß die Tür auf, die Ferse schloß sie hinter ihm. »Guten Morgen.«
    Da stand sie, in ihrem Sonntagskleid aus hellem Leinen, und lächelte ihm verwirrt entgegen. »Man darf uns so nicht sehen,
     Germunt, allein in einem Raum.«
    »Halt einmal ganz still und rühre dich nicht.«
    »Was wird das?«
    »Schön stehenbleiben.« Germunt hob seine Hände über ihren Kopf und öffnete sie. Wie weiche Schneeflocken segelten die Blütenblätter
     auf Stilla hinab. Sie fingen sich in ihrem Haar, streichelten ihre Wangen, glitten ihre Hände entlang und fanden eine nach
     der anderen bei ihren Füßen Ruhe.
    »Das ist wunderschön«, hauchte sie. Mit spitzen Fingern zog sie eine Blüte aus den Haaren, befühlte sie und roch daran.
    »So wollte ich dich wecken.«
    »Du bist so lieb zu mir!« Stillas Worte gingen in einem dröhnenden Ton unter. Der Klang verhallte, sich selbst überschlagend,
     und erneut wurde der Ton angeschlagen. Die Blinde neigte sich vor, tastete nach Germunts Schulter. Dann brachte sie ihren
     Mund an sein Ohr. »Gehen wir gemeinsam zum Gottesdienst?«
    |335| Erfreut schob Germunt seine Hand um ihre Hüfte, aber sie lachte und schüttelte sie ab. »Du bist verrückt!« rief Stilla gegen
     die Glocken an.
     
    Der Hof, der eben noch so leer gewesen war, füllte sich mit Menschen. Germunt las auf den Gesichtern Furcht und Anspannung.
     Heute drängte man sich nicht in den Kirchenraum wie sonst; viele standen neben der Tür, unschlüssig, und beobachteten die
     Hineingehenden. Ein Mann rief seinen Freunden Warnungen zu: »Geht da nicht hinein! Ihr versündigt Euch am Herrn, diese Kirche
     ist von Dämonen verunreinigt!« Als Claudius an ihm vorbeilief, schwieg er und starrte vor sich hin. Der Bischof setzte bei
     jedem seiner Schritte mit Kraft den Krummstab auf dem Boden auf. Zugleich wirkte es bedächtig, weil er langsam lief. Er trug
     das weiße Rochett mit den engen Ärmeln und darüber eine rote, weiß bestickte Kasel, die ihm über die Brust fiel und den halben
     Rücken hinab. Die langen, kastanienbraun gelockten Haare wollten nicht ruhig darauf niedersinken: Sie standen heute wirr und
     wehten bei jedem feinen Windhauch auseinander. Aber das Gesicht war ruhig, die buschigen Augenbrauen entspannt.
    Man machte Platz für den Bischof, aber niemand trat an ihn heran, um ihn um seinen Segen zu bitten. Hatte das weiße Rochett
     Claudius sonst als einen Engel erscheinen lassen, trennte ihn der Talar heute von den anderen, die dunkel gekleidet waren,
     wie eine fremde Hautfarbe.
    Germunt trat neben Stilla durch die Tür. Ein Meßdiener in dunkler Kutte besprengte die Eintretenden mit Weihwasser , dann begannen einstimmige Gesänge. Das Rasseln von Schellen, die Pfeifentöne von Flöten ertönten und mischten sich mit dem weißen Nebel, der um den Altar zog.
Haben sie heute besonders viel Weihrauch verbrannt, damit die Leere nicht auffällt?
Der würzige Geruch biß in Germunts Nase.
Alle schauen sich um, als wären sie zum ersten Mal in diesem Raum. Ich weiß doch genau, daß jeder
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von ihnen in dieser Woche mehr als einmal durch die Tür gespäht hat.
    Sieben Ministranten trugen je einen Kerzenleuchter zum Altar und stellten ihre prunkvollen Lichter ab. Der Bischof nahm auf
     seinem Thron Platz, würdevoll wie eh und je, aber er ließ seinen Blick nicht über die Menge schweifen, wie er es sonst tat,
     sondern sah fest auf den Altar.
    In voller Zahl stellten sich die Diakone und Subdiakone hinter dem Meßpriester auf. Doch der Gesang des Volkes, das Kyrie, das Gloria und Sanctus, wirkte dünn.
Sonst sind sie immer froh, wenn sie singen dürfen,
dachte Germunt,
und wollen am liebsten auch die anderen Lieder mitsingen, die sie nicht dürfen. Noch letzte Woche mußten die eifrigen Sänger
     ausgezischt werden. Heute bekommen sie kaum den Mund auf.
    Er drehte sich um. Ademar fehlte, Ato, Thomas, einige andere. Biterolf stand ganz hinten an der Tür, als wollte er die Möglichkeit
     haben, im Notfall rasch die Kirche zu verlassen. Als ihre Blicke sich trafen, senkte Biterolf

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