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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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ihn Claudius.
    »Möglich.« Germunt spürte seinen Kopf wie einen Bronzekessel, in dem Wasser zum Sieden kommt.
Sag es,
befahl er sich innerlich.
Sag ihm die Wahrheit!
Er räusperte sich. »Das kann allerdings nicht der Grund dafür sein, daß er Euch Merkwürdigkeiten in der Lehre vorwirft und
     Euch um Eure Bekanntheit in mehreren Ländern beneidet.«
    »Es wird sich nur um Formsachen handeln.« Claudius streckte seine Schultern, setzte sich aufrecht. »Ich weiß selbst, daß mein
     Kommentar zum Korintherbrief nicht |332| fehlerfrei ist. Häufig habe ich Augustin aus dem Gedächtnis zitiert, gut möglich, daß es mitunter gar nicht Augustin war,
     der das Entsprechende gesagt hat, sondern daß ich ihn mit Beda verwechselt habe oder Hieronymus oder Isidor, die an anderen
     Stellen im Buch zu Wort kommen. Meine Markierungen am Seitenrand sollten eigentlich Hilfe genug sein, entsprechende Mißgriffe
     zu entlarven. Ich bin umsichtiger vorgegangen als manch anderer vor mir.«
    »Sicherlich, sicherlich. Mein Eindruck war, daß es ihm um das Inhaltliche ging.« Es brodelte in Germunts Kopf. Mit feinem
     Kitzeln rannen Schweißtropfen von seinen Schläfen auf die Wangen hinab. Er wischte sie mit dem Ärmel fort. »Ich habe in der
     Nacht ein Gespräch zwischen Theodemir und einem seiner Mönche mitgehört. Er hat von den Bildern in der Kirche gesprochen,
     von den Pilgerfahrten und den Reliquien. Er meint, daß Ihr Euch ›ver rannt ‹ habt, so hat er es jedenfalls gesagt.«
    »Soso. Theodemir ist noch sehr jung, er kann noch lernen. Vielleicht stellt er im Brief Fragen, die ich ihm beantworten kann,
     um seine Zweifel zu lichten. Gebt ihn mir.«
    Germunt reichte dem Bischof das klein gefaltete Schriftstück. Als Claudius das Siegel erbrach, schluckte Germunt. Es konnte
     sein, daß Theodemir freundlich geschrieben hatte. Dann stand er, Germunt, wie ein Lügner da, wie einer, der dem jungen Mann
     die Freundschaft zum Bischof nicht gönnte. Vielleicht war der Abt wirklich nur schlecht gelaunt gewesen. Plötzlich reuten
     ihn seine vielen Erklärungen. Er hätte den Brief schweigend übergeben sollen.
    Während der Bischof las, beobachtete Germunt dessen Gesicht auf die kleinsten Regungen hin. Ruhig fuhren die graublauen Augen
     des Bischofs über das Pergament. Die Stirn stand reglos, der Mund lag still. Irgendwann weiteten sich die Nasenflügel für
     einen tiefen Atemzug. Dann sah Claudius über den Rand des Pergaments hinweg in die Ferne.
    »Theodemir.« Er sprach leise. Flüsterte fast. »An den kaiserlichen Hof zur Prüfung übersandt.«

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    |333| 24. Kapitel
    Der Himmel strahlte in prächtigem Blau. Vom neuen Hühnerstalldach bis zum Hoftor spannte sich diese Kuppel, und nicht ein
     Fetzen Weiß befleckte sie. Vögel jagten wie Pfeile hoch oben durch die Luft; sie schrien vor Vergnügen.
    Germunt ließ sich am Palastfenster die Sonne ins Gesicht scheinen. Es war Sonntag. Keine Arbeit, keine tintenbefleckten Finger,
     keine Rückenschmerzen erwarteten ihn. Er lächelte, als er daran dachte, daß ihn nur eine Wand von Stilla trennte. Seit Claudius
     ihnen vor vier Tagen eigene Zimmer im Bischofspalast zugewiesen hatte, war Germunt jeden Morgen in der Versuchung gewesen,
     Stilla wecken zu gehen. Es scheiterte allein an seiner Scheu und daran, daß er nicht wußte, wie er sie berühren oder ansprechen
     sollte, ohne sie zu erschrecken.
    Fast sprang er die Treppe hinunter und zur Tür hinaus. Eine Idee beflügelte ihn. Daß er auf dem Hof niemanden antraf, kam
     ihm gut zupaß. Er schob das Zauntor einen Spalt auf und hinkte in den Kräutergarten. Achtlos lief er an den kleinen Pflänzchen
     vorbei, weiter zu den Bäumen. Hatten die Aprikosenbäume nicht vor ein paar Tagen noch rot geblüht?
    Die Gewächse waren über und über mit weißen Blüten bedeckt, wie Schnee lagen einzelne Blütenblätter um ihren Stamm herum im
     Gras. Nur nahe der Kelchblätter waren die Blüten noch von roten Adern durchzogen. Vielleicht hatte die Sonne sie weiß gefärbt.
    Einen Moment überlegte Germunt, ob er die Blätter vom Boden auflesen sollte, aber sie waren naß vom Tau, also begann er, Blüten
     von den Ästen zu pflücken, die schon an der |334| warmen Luft getrocknet waren.
Jede Blüte ist eine Aprikose,
schalt ihn sein Gewissen. Indem er an die Früchte dachte, die zu Boden fallen würden, beruhigte er sich. Er redete sich auch
     ein, die verbleibenden Aprikosen würden besonders groß wachsen, weil sie mehr Platz

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