Der Kalligraph Des Bischofs.
aufgetragen. Er schildert verschiedenen anderen Bischöfen den Vorfall und bittet um Rat.«
»Eigenmächtig?«
»Ja.«
Germunt tat einen tiefen Atemzug. »Biterolf, du kennst das, was Claudius lehrt, du hast seine Schriften selbst in Bücher übertragen.
Glaubst du ihm?«
»Ich weiß es nicht. Er kennt die Bibel wie niemand sonst, und er folgt Augustin in einer klugen Art. Aber was heute nacht
geschehen ist –«
»War doch nur die Folge dieser Gedanken!« Germunt machte einen Schritt auf das Pult zu, aber Biterolf erhob abwehrend die
von Tinte schwarze Hand, immer noch den Blick auf seinem Pergament.
»Ich möchte nicht darüber streiten. Er ist zu weit gegangen. Sie zittern vor ihm, aber sie verabscheuen ihn auch, weil er
das zerstört hat, was ihnen heilig war.«
»Ist es wirklich heilig?«
»Ich weiß es nicht.« Biterolfs Stimme klang müde.
»Biterolf, du hast dich nie viel darum geschert, was die anderen über deine Auffassungen denken …«
»… die der Bischof nicht teilt.«
»Gut, die der Bischof nicht teilt, aber du hast dir eigene Gedanken gemacht und an ihnen festgehalten. Claudius tut nichts
anderes. Bedenke wenigstens seine Argumente.«
Biterolfs Augen flammten auf. »Er ist Bischof! Germunt, er kann sich keine persönliche Lehre erlauben! Er steht für die Kirche,
von der er sein Amt erhalten hat, und er muß |330| das Volk führen wie ein Hirte seine Schafe. Da kann er nicht ihre Weide niederbrennen!«
»Richtig, er führt das Volk. Und wenn die Herde auf eine Schlucht zuläuft, dann muß er ihre Richtung ändern. Aber wie es aussieht,
will er sie in den Abgrund stürzen.«
Biterolf tunkte seine Feder in das Tonfäßchen. »Ich habe Arbeit zu erledigen.«
Ich kenne deine Stimme.
Germunt lächelte in Gedanken.
Meinst du, ich merke nicht, wie unsicher du dir bist?
»Wirst du«, sagte er leise, »wenigstens noch einmal darüber nachdenken?«
Es war still. Dann antwortete Biterolf ebenfalls gedämpft: »Dir zuliebe.«
Im Hof begegnete Germunt einer Gruppe von Knechten und Mägden, die einem Priester hinterherliefen. Sie sangen verzweifelt,
bis der Priester vor der Kirche stehenblieb, die Fingerspitzen in eine Wasserschale tunkte und die Kirchentür mit Tropfen
bewarf.
Da erscholl Claudius’ Stimme vom Palast her über den Hof. »Diese Kirche ist nicht entweiht. Sie hat mehr Heiligkeit gefunden,
als sie je hatte.« Der Bischof lief auf die Gruppe zu. »Verschwindet!« Bevor er so nahe kam, daß er sie hätte berühren können,
wichen ihm die Menschen aus. Der Priester schüttelte noch ein paar Tropfen gegen die Kirchenwand, zog sich aber, als Claudius
näher trat, ebenfalls eilig zurück.
Germunt erreichte Claudius gerade rechtzeitig, um ihn murmeln zu hören: »Sie haben nichts verstanden.«
»Da gibt es noch mehr. Herr, darf ich Euch den Brief Eures Schülers Theodemir zeigen?«
»Er ist nicht mein Schüler, jedenfalls nicht mehr. Wir betrachten uns als Freunde. Bringt mir seinen Brief. Er ist jemand,
der versteht, was ich meine.«
»Ich trage den Brief hier in Händen. Wenn Ihr gestattet, würde ich Euch gern dazu erzählen, wie ich ihn erhalten habe.«
|331| »Natürlich.« Man merkte dem Bischof seine Müdigkeit an. »Während wir geschlafen haben, sind die Besucher wieder gegangen,
die für heute angesagt waren. Also habe ich Zeit.«
In einem der Beratungsräume des Palastes setzte sich der Bischof auf eine hölzerne Bank, die mit einem Bärenfell bespannt
war. Claudius atmete tief wie ein Schlafender. Er zwirbelte mit den Fingern die Zotteln des Fells, während Germunt sich einen
Schemel suchte.
»Ich würde gern … ganz frei sprechen, Herr.«
»Tut es.«
»Es könnte Euch aber verärgern.«
»Schluß mit diesen albernen Vorreden. Redet!«
Germunt schluckte. »Ich habe Theodemir in einem Gasthaus am Ufer der Rhône gefunden. Zuerst ist mir seine Kleidung ins Auge
gefallen. Während ich ihn beobachtete, habe ich eine Ahnung von seinem außergewöhnlichen Verstand bekommen.«
Die Mundwinkel in Claudius’ Gesicht hoben sich zu einem kleinen Lächeln.
»Aber der ist ihm scheinbar zu Kopfe gestiegen. Er war gereizt, hatte immer Sorge, seine Mönche würden ihn wegen seines geringen
Alters verspotten. Ich habe ihn auf Euch angesprochen, aber er hat keine Freude gezeigt.«
»Er wird viel Ärger gehabt haben an jenem Tag, wißt Ihr, und wenn einmal die Körpersäfte hochgekocht sind, dann ist niemand
mehr gerecht«, unterbrach
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