Der Kalligraph Des Bischofs.
die Lider.
Odo war an seinem gewohnten Platz. Der Meister strahlte Ruhe aus, wie er es immer tat. Die schmucklose Kirche schien ihn nicht
zu stören, er folgte mit reglosem Gesicht der Liturgie. Einige andere aber fuhren ungläubig mit ihren Fingern über die rauhe,
nackte Fläche von Sand, Kalk und Ton, die einmal eine geschmückte Kirchenwand gewesen war. Eine Frau kniete an der Stelle
nieder, an der die bemalte Figur des Petrus gestanden hatte, und betete.
Die Stimme des Meßpriesters erscholl, man möge seine Opfergaben zum Altar bringen.
»Geht jemand?« flüsterte Stilla.
»Noch nicht, aber ich sehe zwei Frauen, die ihren Männern etwas geben.«
»Nur zwei?«
»Ja. Jetzt gehen die Männer zum Altar. Einer trägt ein Brot auf einem Leinentuch, der andere einen kleinen Krug. Sicher Öl.«
|337| »Wie schaut Claudius?«
»Warte, da kommt noch einer. Er legt Münzen ab.«
»Das waren alle?«
»Ja.«
»Und Claudius?«
»Er läßt sich nichts anmerken. Guckt ernst, aber nicht böse.«
Ein Gloria wurde angestimmt. Stilla raunte etwas lauter. »Sie haben Angst um ihr Seelenheil. Wie ich.«
Germunt spürte beinahe ihre Lippen an seinem Ohr. Eine warme Welle lief vom Ohr über die Haut auf seinem Nacken. »Denkst du,
es ist Sünde, was er getan hat?«
»Nicht nur er. Wir haben mitgemacht.«
Endlich erhob sich Claudius. Es wurde so still im Raum, daß man auf seinem Weg zum Altar den Stoff rauschen hörte. Straff
spannte sich das Rochett über seiner kräftigen Brust, als er sich zum Volk drehte. Germunt stellte sich Claudius wechselweise
in Bischofskleidern und in Kriegsrüstung vor.
Ich bewundere diesen Mann. Warum sehen ihn die anderen nicht so, wie ich ihn sehe?
Der Blick des Bischofs war aus der Ferne zurückgekehrt, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen, während er jeden einzelnen
ansah. Dann wies er mit dem Arm zur Kirchenwand. »Bis vor wenigen Tagen war dort ein Bild zu sehen, und ich weiß, daß ihr
mich haßt, weil ich es zerstört habe.« Seine Worte hallten in den Raum, und er sprach erst weiter, als sie zwischen seine
Zuhörer gesunken waren. »Es war das Bild einer schönen Frau mit einem Knaben auf dem Schoß.«
Jemand murmelte ehrfürchtig: »Maria.«
»Richtig, Maria«, setzte Claudius fort. »Ohne Aufschrift an der Wand könnte es sich auch um Venus mit Aeneas, Alkmene mit
Herakles oder Andromache mit Astyanax gehandelt haben.«
Ein Raunen der Empörung ging durch den Raum.
»Ihr habt nicht Maria angebetet, sondern das Bild einer Frau mit Kind.«
|338| »Aber damit haben wir Maria geehrt«, rief ein älterer Mann.
»So? Wenn ihr mich ehren wollt, dann hoffe ich, daß ihr nicht vor einem Bild von mir niederkniet, sondern gut von mir sprecht
und tut, was ich euch gebiete. Ehrt ihr wirklich Maria, wenn ihr ein Bild anbetet?«
Germunt sah den Meßpriester die Lippen zusammenpressen. Er blickte um sich: Überall zog man die Brauen zusammen, schüttelte
den Kopf, senkte die Mundwinkel herab. Einzig Odo hörte mit wachem, interessiertem Blick zu.
Claudius wies auf den kreuzförmigen Staubumriß hinter dem Altar. »Dort hing das Kreuz. Warum habt ihr euch davor gekrümmt?«
»Um Christus zu ehren«, sagte der ältere Mann. »Er ist am Kreuz für uns gestorben.« Zustimmendes Gemurmel folgte.
»Wirklich? Warum betet ihr dann ein Kreuz an und nicht ihn selbst? Wenn wir alles Holz verehren wollen, das in die Form eines
Kreuzes gebracht wurde, weil ja Christus an einem Kreuz hing, dann sollten wir dasselbe mit vielen anderen Dingen machen,
die Christus im Fleische tat. Denn am Kreuz hing er nur sechs Stunden, aber im Bauch der Jungfrau war er neun Monate. Deshalb
laßt uns Jungfrauen verehren, weil eine Jungfrau Christus zur Welt brachte! Laßt uns Krippen verehren, denn er wurde kurz
nach seiner Geburt in eine Krippe gelegt. Altes Leinen soll verehrt werden, darin wurde er gewickelt, als er geboren wurde.«
Es wurde laut im Kirchenraum.
»Hier sind Dämonen am Werk«, schrie jemand. »Be wahrt eure Herzen!«
Claudius wartete einen Moment. Dann sprach er etwas ruhiger. »Wollt ihr Boote verehren, weil er häufig auf Booten segelte
und die Menge von einem kleinen Boot aus lehrte? Er schlief auf einem Boot, befahl den Winden von einem Boot, und es war zur
Rechten eines Bootes, wo nach |339| seiner Prophezeiung der riesige Fischfang gemacht wurde. Wollt ihr auch Lanzen verehren? Einer der Söldner öffnete seine Seite
mit einer Lanze, und aus
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