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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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erwiderte die Umarmung. Sie fühlte das Kinn des alten Mannes auf ihrer Schulter; es war naß, sein Kiefer zitterte.
     Sie streichelte Odo über den Rücken.
    |372| Der Meister weinte lautlos. Sie konnte seinen Brustkorb spüren, hörte ihn leise atmen und dann wieder die Luft anhalten, während
     Tränen auf ihre Schulter tropften. Schließlich löste er sich von ihr. »Vergiß das nie, du bist unendlich wertvoll. Und du
     hast einen alten Mann zum Weinen gebracht, dessen Tränen längst versiegt waren, man sollte dich dafür zur Stadt hinausprügeln
     oder mit einem Festkleid belohnen oder am besten beides. Geh lieber, ich rede wirr.«
    »Ich behalte Euch in guter Erinnerung, Meister.«
     
    Auf dem Bischofshof ging Stilla mit ausgestreckter Hand die Häuser entlang, ließ ihre Fingerspitzen über unebene Lehmwände
     streifen. Sie roch den Pferdestall, die Hühnernester. Beim Kräutergarten angekommen, drückte sie die kleine Pforte im Zaun
     auf und ging nach zwei Schritten in die Hocke, um ihre Handfläche über die Halme zu schwenken. »Ade, ihr Wohlgerüche«, murmelte
     sie.
    Hinter ihr knirschten die Schritte eines schweren Mannes, dann klappte die Pforte.
    Stilla erhob sich. »Vater?«
    Biterolfs Stimme klang nach Herbst, obwohl es Frühling war. »Stilla, mein Kind. Dir fällt der Abschied schwer, nicht wahr?«
    »Es ist nur – ich fühle mich so unsicher, weil er nicht mehr mit mir redet. Ich würde mich ihm gerne anvertrauen, mit ihm
     Turin verlassen, gemeinsam etwas Neues aufbauen, aber dieses Schweigen, damit kann ich nicht umgehen.«
    »Es hat nichts mit dir zu tun, glaub mir.«
    »Womit dann?«
    »Germunt ist am Boden, weil er den Mann dem Tod überlassen muß, der sein Leben gerettet hat. Du darfst das nicht auf deine
     Schultern laden.«
    »Und wenn ich das will? Er ist weit weg von mir, wenn er es allein trägt.«
    |373| Sie schwiegen.
    »Weißt du, ich mache das so.« Biterolf klang plötzlich beinahe fröhlich. »Ich stelle mir einfach vor, daß wir uns bald wiedersehen.
     Ich glaube daran. In ein paar Wochen, durch irgendeinen dummen Zufall, begegnen wir uns wieder. Stimmt doch, oder?«
    Stilla schluckte. »Hm.«
    »Sicher! Wir sehen uns. Deshalb gibt es gar keinen Grund, jetzt einen traurigen Abschied zu nehmen. Keine Ahnung, wo Germunt
     mit dir hinwill, er sagt es mir ja nicht – aber er segelt bestimmt nicht mit dir an den Rand der Welt. Das kann er gar nicht
     bezahlen. Also bleibt Turin, die stolze Stadt Turin, ein schönes Ziel an Markttagen, für Besuche beim Schuhflicker, Besuche
     bei einem alten, dicken Notar …«
    Nun mußte Stilla lächeln. »Ihr seid so gut zu mir, Biterolf.«
    »Oh, das ist purer Eigennutz. Je freundlicher ich zu dir bin, desto öfter läßt du mich dein hübsches Gesicht sehen.«
    Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß, und weil ihr der Gedanke unangenehm war, daß Biterolf das sehen könnte,
     schoß gleich eine zweite warme Welle über ihr Antlitz. »Ihr macht mich verlegen.«
Was sage ich jetzt? Ich muß rasch etwas sagen.
»Ihr habt auch keinen leichten Teil hierzubleiben. Ich meine, Ihr seid der letzte Treue, der beim Bischof bleibt, oder?«
    »Nun, ganz so würde ich das nicht sagen.«
    »Doch. Paßt gut auf ihn auf, ja?«
    Biterolf klang heiser. »Claudius möchte nicht, daß man auf ihn aufpaßt. Vielleicht kann ich ihm in die Augen schauen, wenn
     er auf dem Scheiterhaufen steht, und so zeigen, daß es noch jemanden gibt, der zu ihm steht, aber mehr gestattet er nicht.«
    »Ich möchte mir nicht vorstellen, daß der Bischof getötet werden könnte.«
    »Noch ist gar nichts passiert.«
     
    |374| Ein leises Flattern drang an Stillas Ohren, dann hörte sie Jungvögel um die Wette piepsen, wohl, weil sie ihre Mutter um Futter
     anbetteln wollten. Sehnsucht stieg in ihr auf, merkwürdig klar, mit der Selbstverständlichkeit eines über jeden Verstand erhabenen
     Gefühls.
    Er hat kein Recht, seine Schmerzen allein zu tragen.
Stilla tastete sich nicht an der Wand entlang, lauschte auch nicht vorsichtig, ob sie in jemanden hineinlaufen könnte; sie ging schnurstracks zur Schreibstube, als wäre sie sehend.
Ich werde mich nicht abweisen lassen. Wenn er mich liebhat, werde ich unter seinem Schweigen Worte finden. Ich gebe nicht
     auf, Germunt, so leicht ziehst du dich nicht von mir zurück. Willst du das denn zur Gewohnheit werden lassen, mich mit solchem
     Schweigen auszusperren? Das Spiel ist kein gutes, und ich werde es dir sagen.
    Sie

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