Der Kalligraph Des Bischofs.
schmalen Hand der Frau gewogen und anscheinend für gut befunden.
Sie ließ das Säckchen in ihrem Ärmel verschwinden.
Die Stimme aus dem Umhang klang verändert, ein wenig rauh. »Ich erwarte dich beim Morgengrauen wieder hier.« Der Mann übergab
eine Pergamentrolle und wandte sich zum Gehen in Richtung Pforte.
Verdammt. Das nächste Versteck ist das Scheunentor, und dafür muß ich gute zwanzig Schritt rennen.
Germunt krallte die Finger in die Lehmwand, suchte nach einem Ausweg.
Wenn ich jetzt loslaufe, hört er es und weiß, daß er belauscht wurde.
Da kam ihm in den Sinn, den Tonfall einer Nachtwache |367| nachzuahmen, die ihn einmal beim Diebstahl ertappt hatte. Er drückte das Kinn auf die Brust und bemühte sich, seine Stimme
tief zu machen: »Heho zur Nacht, was geht hier vor?«
Der Handlanger des Grafen machte sofort kehrt und jagte durch die Gasse davon. Die Hure raffte ebenfalls zur Flucht ihre Röcke.
Germunt blies erleichtert die Luft aus den Lungen, wartete, bis die Frau um eine Ecke gebogen war, dann schlug er selbst den
Weg durch eine Parallelgasse ein, um ihr unbemerkt folgen zu können.
Nach kurzer Zeit lief die Frau langsamer und schien auf ein festes Ziel zuzusteuern. Vor einem steinernen Haus, zu dessen
Tür eine Treppe hinaufführte, blieb sie stehen, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die Lockenpracht auf ihren Schultern
ordnend, und erklomm schließlich die Stufen, um zu klopfen.
Kaum hatte die Frau die Fingerknöchel von der Tür genommen, öffnete sie sich. Ein stoppelbärtiger Hüne trat in den Türspalt
und blickte so erstaunt auf die Frau herab, wie ein Vogel auf einen jungen Kuckuck blicken mußte, der in seinem Nest geschlüpft
ist. »Was gibt es?«
»Ich bringe ein Geschenk für Euren Herrn.«
»Ein Geschenk?« Plötzlich erhellte sich das Gesicht des Hünen. »Das will ich meinen, ein vortreffliches Geschenk. Tragt Ihr
auch keine Klinge unter den Röcken?« Die grobe Pranke des Mannes fuhr den Körper der Frau entlang.
»Ihr könnt mir trauen.«
»Das will ich, wenn Ihr mich küßt.«
Die Hure winkte den Stoppelbart zu sicher herunter und bedeckte seine Lippen mit ihren. Als die Gesichter sich lösten, trat
der Hühne mit flatternden Augen beiseite. »Suppo wird glücklich sein, Euch zu empfangen. Sagt ihm nichts von unserer Parole.«
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|368| 26. Kapitel
Die ersten Hähne krähten sich bereits ihre Revieransprüche zu, als Germunt zum Bischofshof zurückkehrte. In seinem Kopf pochte
schmerzhaft die verlorene Nacht, aber seine Wangen glühten, und die Lippen bebten bei dem Gedanken an die Gefahr, vor der
er den Bischof warnen mußte.
Aus dem Bischofspalast kam ihm Biterolf entgegen. »Geh nicht zu ihm. Er möchte Ruhe haben, hat er mir gesagt, um sich auf
sein Ende vorzubereiten.«
»Also weiß er es schon?«
»Ja. Sie sind bereits nach Turin aufgebrochen.«
»Wer soll aufgebrochen sein?«
»Ademar und der päpstliche Legat.«
»Ademar … hat das Buch nach Rom gebracht?«
»So ist es. Ein Freund aus Rom hat Claudius gewarnt. Nur unser stolzer Bischof möchte nicht fliehen. Lieber verteidigt er
noch einmal seine Lehre vor einem päpstlichen Legaten und brennt dann auf dem Scheiterhaufen.«
»Können wir nicht etwas unternehmen, um ihn zu retten? Es ist schlimmer, als du meinst: Ich habe heute nacht eine Verschwörung
entdeckt. Godeoch bereitet eine Anklageschrift gegen Claudius vor, die ihn zum Ketzer erklärt.«
Biterolf nickte. »Um so sicherer ist ihm der Feuertod. Sag es ihm! Du wirst ihn nicht umstimmen, aber ich würde es mir nicht
verzeihen, wenn wir etwas unversucht gelassen hätten.«
»Du hältst ihn nicht mehr für verirrt?«
»Nein, Germunt. Er ist bereit, für das zu sterben, was er erkannt hat. Stärker kann man die Wahrheit nicht untermauern.«
|369| Germunt schwieg. Er wollte lächeln, aber die Sorge ließ nur schmerzschiefe Mundwinkel zu.
»Komm dann gleich in die Schreibstube, ja? Wir haben einige Abschriften zu fertigen, um Claudius’ Bücher vor der Zerstörung
durch den Legaten zu bewahren.«
Germunt sah Claudius bei seinem Eintreten eilig ein abgegriffenes Pergament zusammenfalten. Die kastanienbraune Lockenmähne
schien einen silbernen Schimmer zu tragen, und die Augen des Bischofs blickten trübe. Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht
eingegraben.
»Germunt?«
»Entschuldigt, daß ich Euch störe. Es gibt nur etwas Wichtiges, das Ihr wissen solltet.«
»Manchmal
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