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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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hätte der Notar laut nach den Stadtbütteln gerufen. Nicht heute.
Ich habe selbst gesündigt – wie sollte ich den ersten Stein werfen?
Biterolf sah ernst in jene gelben Augen. Tief waren sie, und auf dem Boden all dieser Kälte schimmerte Traurigkeit, wie Katzengold
     im Schlund einer Höhle.
Er wartet darauf, daß ich zu zetern beginne. Nicht heute, junger Mann.
Biterolf drehte sich schweigend um, ging durch die leeren Straßen Turins und hielt dann und wann an, um zu lauschen. Es blieb
     still.

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    |59| 5. Kapitel
    Langsam ließ Germunt die Luft aus den Lungen entweichen. Der Mann mit den verweinten Augen war gegangen. Wären es die festen
     Schritte der Stadtwachen gewesen, er hätte es gehört, aber dieser Mann war leise herangeschlichen, hatte sich im Schatten
     der Häuser gehalten. Warum war er nicht in der Kirche?
Ich sollte es schnell zu Ende bringen,
sagte sich Germunt.
Die Büttel werden bald hiersein.
    Er löste den rechten Fuß vom Fenstersims und schwang sich geduckt in das andere Fenster hinein. Zielsicher humpelte er auf
     Körbe und Truhen zu, wühlte, forschte bis in die Winkel. Nichts Eßbares.
    Germunt setzte sich enttäuscht auf ein Bettlager. Er zupfte sich den Lumpenverband über seiner Ferse zurecht, rührte prüfend
     an die Wunde und verzog das Gesicht. Der abgewandte Blick landete auf dem Strohsack am Kopfende des Bettlagers, und einer
     plötzlichen Regung folgend, hob er ihn in die Höhe. Ein Apfel! Germunt stopfte ihn mit gierigen Bissen in sich hinein, restlos.
     Der sauer-süße Saft floß wohltuend seine Kehle hinab. Zum Schluß kaute er hungrig den Stiel. Er behielt ihn im Mund, war mit
     drei Schritten am Fenster und hockte für einige Augenblicke auf dem Sims, um zu lauschen. Als er niemanden hörte, sprang er
     hinunter. Schmerz stach in seinen Fuß, tief, aber er mußte sich beeilen, von hier fortzukommen. Als schnitten scharfe Klingen
     von der Ferse bis in die Zehen, so fühlte es sich an, während er in Richtung Porta Nova hinkte.
    Seit er in Turin angekommen war, lagerte er unter einer Brücke östlich der Stadt. Anfangs hatte er noch versucht, um Almosen
     zu betteln, aber es dauerte nicht lang, bis er |60| die Antworten auswendig kannte: »Wir haben selbst nicht genug.« – »Denkst du, ich habe keinen Hunger?« – »Ver schwinde , oder es setzt Prügel!« Jeden Tag kämpfte er mit dem Hunger. Der Hunger lauerte neben ihm, wenn er schlief; und ob er im
     Morgenlicht die Augen öffnete oder nicht, das Biest sprang ihn an, sobald er erwachte, hieb ihm seine Krallen in den Bauch
     und hörte bis zum Abend nicht auf zu schreien.
    Er bewahrte fünf Nüsse unter der Brücke auf. Eingepackt in seine Wolfsfelle und in den Winkel zwischen abfallendem Ufer und
     Ansatz der Brückenbalken geschoben. Sie gaben ihm das Gefühl, nicht ausgeliefert zu sein, alles im Griff zu haben. Verhungern
     konnte er nicht, da war kein Grund für Angst, weil es unter der Brücke die Notration gab. Auch heute würde er sie nicht kauen,
     obwohl die Leere bei jedem Schritt wie ein Mühlstein auf seinen Bauch drückte. Er würde sie nie essen, nie. Wenn er sie aß,
     war er verloren.
    Das letzte Mal wirklich satt gewesen war er an seinem zweiten Tag in der Stadt. Er hatte einen Karren mit Backwerk entdeckt,
     der zum Markt fuhr, und war ihm so lange gefolgt, bis es ihm gelungen war, unbemerkt einen der Körbe einen Spaltbreit zu öffnen
     und zwei Brote herauszuziehen. Mit angenehm gefülltem Bauch hatte er später am Fluß gesessen, hatte die Boote beobachtet,
     die mit Kisten, Fässern, Bündeln und Säcken beladen waren. Unfaßbar, wieviel Nahrung dort über das vorbeiziehende Wasser fuhr,
     unerreichbar für ihn.
    Da war dieser Schmerz in seinem Fuß. Jeden Abend schaute er sich die Wunde an, die er aus den Bergen mitgebracht hatte. Sie
     wollte sich nicht schließen, war sein ständiger Begleiter wie der Hunger.
    Vor drei Tagen war er von einer Frau an der Schulter berührt und wie ein alter Freund angesprochen worden. Beinahe hätte er
     sich vor Verwunderung von ihr in einen Hauseingang ziehen lassen, aber die Umstehenden riefen ihr lachend zu, daß bei ihm
     nichts zu holen sei, und so ließ sie ihn stehen, ohne ihn noch einmal anzusehen. Eine Hure, |61| sagte man ihm, als sie gegangen war. Er hatte von Anfang an gespürt, daß sie log, nur ihre Augensterne erinnerten ihn an Adia,
     seine Mutter. An die reich gedeckten Tafeln seiner Kindheit durfte er nicht denken. Das machte es nur

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