Der Kalligraph Des Bischofs.
schlimmer.
Germunt zerdrückte vorsichtig mit der Zunge einige Fetzen Fruchtfleisch, die zwischen den Zähnen hängengeblieben waren. Apfelgeschmack.
Vielleicht konnte er irgendwann wieder ein Brot stehlen. Er kam bestimmt, der satte Tag, nach dem er sich sehnte.
Auf keinen Fall gehe ich zu diesem Kantabrier.
Seine Hand fühlte nach dem Brief, den er unter dem Hemd trug, in einen gefetteten Lederlappen gewickelt. Warum hob er den
Brief überhaupt auf? Als letzte Sicherheit?
Ich verachte diesen Mann. Oh, wie ich ihn verachte.
Und wie sollte es weitergehen? Ein eigener Weinberg … Woher sollte das Geld für den Weinberg kommen, wenn er immer nur für
den Mund stahl?
Wenn ich nicht irgend etwas unternehme, werde ich in ein paar Jahren mit leerem Bauch unter dieser Brücke sterben.
Gerade wollte Germunt über die Uferböschung humpeln, da erstarrte er. Unten am Wasser saßen drei lumpige Gestalten und beobachteten
die vorbeifahrenden Kähne.
Ich weiß, was ihr denkt.
Germunt ließ den Blick zwischen den Gestalten und den Kähnen hin und her wandern. Und dann hatte er eine Idee.
Nur Überlegenheit ausstrahlen, das ist wichtig. Ich muß Überlegenheit ausstrahlen.
»He, ihr drei!«
Die Zerlumpten drehten sich um: In der Mitte ein Mann mit kräftigem Kinn, dessen rechter Arm in einem Stumpf endete, ihm zur
Linken eine einäugige Frau, zur Rechten ein hagerer Kerl, der wie beiläufig eine Klinge aus dem zerfetzten Gewand zog. »Was
willst du?«
»Ihr habt das Hungern satt, nicht wahr?«
»Oh, ein ganz Schlauer.« Die Frau tippte sich an die Schläfe.
|62| Der Mann in der Mitte funkelte ihn an. »Was soll die Frage?«
»Ich habe euch einen Vorschlag zu machen. Armseliges Leben, oder? Habt ihr Lust, daran etwas zu ändern?«
»Verschwinde!«
Germunt tat so, als hätte er es nicht gehört. »Habt ihr schon einmal daran gedacht, wirklich nach Plan zu stehlen?«
Die Einäugige spuckte aus. »Nach Plan! Du hast Vorstellungen. Wir sind hier nicht in Rom, kapiert?«
»Was ja nicht heißt, daß es keine wertvollen Dinge gibt.«
»Natürlich, und die sind gut bewacht.«
»Nicht immer.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel Salz.«
»Salz kann man nicht essen«, brummte der Kräftige. »Wer bist du überhaupt, daß du hier auftauchst und den Klugen rauskehrst?
Ich glaube, Simon schlitzt dir mal eben die Kehle auf. Hier und jetzt.«
Die Einäugige wiegte beschwichtigend die Hände. Sie kniff das eine Auge zusammen, als würde sie nachdenken; das andere war
faltig geschlossen, hohl. »Warte mal, nicht so voreilig. Ich will hören, was er zu sagen hat.« Sie winkte ihn heran, neben
ihr Platz zu nehmen. Nacheinander zeigte sie auf den Hageren, den Kräftigen und sich selbst: »Der Lange heißt Simon, mit der
einen Hand, das ist Rothari, ich bin Bertlind. Und wie heißt unser Schlaumeier?«
»Germunt.«
»Warum erzählst du
uns
das, Germunt, und ziehst die Sache nicht alleine durch?«
»Weil es allein nicht zu schaffen ist.«
Rothari beugte sich vor. »Wo kommst du überhaupt her? Ich hab dich hier noch nie gesehen, glaube ich. Du bist doch ein Spitzel
für die Gräflichen, du denkst, das fällt mir nicht auf, was? Dein ganzer ›Plan‹ ist eine Falle!«
Es kam Germunt vor, als wäre es plötzlich totenstill. In |63| seinem Kopf rauschte es, er fühlte Atemnot. Um ihn herum waren riesige Schneefelder, seine Füße schmerzten. Stechender Hunger.
Kälte, die in die Ohren, in die Nase, in die Augen einzudringen schien. Ein Weg, der kein Weg war, sondern ein zielloses Sichvoranschleppen,
Ausrutschen, Fallen und sich Weiterschleppen. Dann der Unfall, das Blut im Schnee.
»Ich bin über die Alpen gegangen.«
»Und das sollen wir dir glauben?«
»Der Rest ist eine Geschichte, die ihr nicht verstehen würdet. Es gibt im Norden eine Sitte, die ihr hier nicht kennt, sehr
grausam, unerbittlich. Ich will nicht davon erzählen.«
»Auch hier gibt es grausame Sitten«, sagte Rothari und hielt seinen Handstumpf in die Höhe.
»Nun gut.« Bertlind strich sich eine drahtige Haarsträhne hinter das Ohr. »Ein Spitzel ist er sicher nicht, das haben sie
nicht nötig. Die würden gleich mit Bütteln anrücken. Du willst also Salz stehlen. Wie soll das ablaufen?«
»Wartet mal.« Simon rückte ein Stück nach vorn, hustete kurz und erklärte: »So dumm ist die Idee gar nicht. Dort, wo die Schiffe
anlegen, wird manchmal Salz aus dem byzantinischen Comacchio angeliefert. Ein Fäßchen davon ist Unmengen
Weitere Kostenlose Bücher