Der Kalligraph Des Bischofs.
»Gloria« und die Aufforderung, das Volk möge leise um den Heiligen Geist
beten. Anstatt die Augen zu schließen, beobachtete der Notar, wie Claudius niederkniete und die anwesenden Bischöfe ihm die
Hände auflegten. Ansgars Gesicht war wettergegerbt, sein Haar im Ansatz ergraut. Ein Gefühl von Vollkommenheit, von innerer
Ruhe durchströmte Biterolf, als er ihn dort beten sah. Die Lippen, die viele Heiden im hohen Norden bekehrt hatten, bewegten
sich lautlos, die Augen waren so fest geschlossen, daß sich auf der Stirn Falten bildeten.
Agobard daneben, einen ganzen Kopf größer, bewegte nicht die Lippen. Aber er schluckte, man konnte ihm ansehen, |52| daß er in Gedanken betete. Beide trugen das Rochett, als wäre es ihre natürliche Haut, als seien sie schon in dieser Kleidung
zur Welt gekommen. Auch Claudius war in einen weißen Talar mit engen Ärmeln gekleidet; seine kräftige Statur ließ ihn aussehen
wie einen Racheengel.
Plötzlich erhob Agobard die Stimme. Tief war sie, warm und durchdringend. Er bat Gott um seinen Geist, um seinen Beistand
für den neuen Bischof. Biterolf spürte diese Stimme bis in den Bauch; die ganze Kirche war davon erfüllt.
Als Agobard geendet hatte, goß Ansgar etwas aus einem kleinen, silbernen Gefäß auf Claudius’ Kopf und sprach einen Segen dazu.
Der Geruch erinnerte Biterolf an ein blau blühendes Kraut aus Gausberts Garten.
Claudius erhob sich. Er überragte beide Bischöfe. Der Kanzler, in festlichem Priestergewand, übergab ihm einen wohlgeformten,
oben leicht gekrümmten Stab, Agobard steckte dem großen Mann einen Ring an einen Finger der rechten Hand. Die Bischöfe umarmten
sich, tauschten den Friedenskuß aus.
Haben Ansgar und Agobard das Einladungsschreiben persönlich in der Hand gehalten? Was sie wohl zu mir sagen würden, wenn Claudius
mich vorstellen würde? Sicher arbeiten für sie weitaus begabtere Notare, als ich es bin.
Biterolf versuchte, sich Hamburg vorzustellen. Eine Stadt in der Wildnis des Nordens. Und ein Mann wie Ansgar lebte nicht
nur dort, er reiste auch noch weiter in die Kälte hinauf, um mörderischen Heiden von Gott zu berichten.
Sie wollen nichts davon hören, so oft schon haben sie Mönche grausam umgebracht. Aber Ansgar fürchtet sich nicht.
Biterolf mußte sich unvermittelt einen heidnischen Opferplatz vorstellen, klobige Steine mit eingemeißelten Dämonenfratzen,
und auf einem riesigen Altar einen Mönch, gefesselt. Vor ihm der Teufelsanbeter, der Priester der Heiden, die Rechte mit der
Opferklinge hoch erhoben … Welchen Mut mußte Ansgar haben, welche Vollmacht von Gott!
|53| Ob sich Ansgars Notar überhaupt der Ehre, für einen solchen Mann zu arbeiten, bewußt war? Von einem Augenblick zum anderen
fühlte Biterolf sich klein, unbedeutend. Wer war er schon. Ein Mensch von Ansgars Größe würde ihm nie Beachtung schenken.
Was dieser Ansgar wohl darüber denkt, daß ich einen Hund mit in die Kirche gebracht habe?
Biterolf fühlte sich plötzlich unsicher. Er hatte sich nie darum gesorgt, ob es Christus beleidigte, wenn er Farro mit in
die Kirche nahm. Er fühlte sich plötzlich sehr unsicher.
Ich stehe in der zweiten Reihe, sie können Farro nicht sehen,
versuchte er sich zu beruhigen.
Claudius hatte seine Predigt begonnen: »Wir sollen das Kreuz nicht anbeten, sondern es tragen …« Ein ketzerischer Gedanke;
und das als erste Predigt nach der Weihe.
Biterolf hörte leises Winseln. Erschrocken blickte er zu Farro hinab: Der große Hütehund erhob sich, stellte die Ohren auf.
Biterolf konnte sehen, wie die feuchte Nase zuckte, wie er Witterung aufnahm. Das Winseln wurde stärker.
»Bist du ruhig!« flüsterte Biterolf eindringlich. Er packte Farro am Genick und drückte ihn zu Boden.
Das ist das letzte, was mir jetzt passieren darf.
Kaum hatte der Notar den Hund losgelassen, erhob sich dieser wieder. Er sah starr nach vorn.
Biterolf versuchte, dem Blick seines Hundes zu folgen. Er verhielt sich geradezu, als würde für ihn ein saftiges Stück Fleisch
auf dem Altar bereitliegen. Oder hatte sich eine Ratte in die Kirche verirrt? »Bitte, Farro, mach jetzt keinen Unsinn!« raunte
Biterolf ihm zu. Der Hund war immer zuverlässig gewesen. Leise. Gehorsam.
Was, wenn er plötzlich aufspringt und zwischen den Leuten durchjagt, um dem Geruch zu folgen? Wir stören die Bischofsweihe
…
Der Notar griff in das schwarze Fell.
Wenn er wirklich losrennt, kann ich ihn nicht halten. O Herr im
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