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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Die vier kürzten einen Bogen ab, den der Po am Rande
     der Stadt machte, und näherten sich von der städtischen Seite her der Anlegestelle. Germunt meinte immer wieder, aus dem Stimmengewirr
     der Turiner Worte wie »Anlegestelle«, »Salzdiebstahl« und »Büttel« zu hören. Auch hatte er das Gefühl, man würde Bertlind,
     Rothari, Simon und ihn mit besonderen Blicken bedenken, obwohl sie sicher nicht die einzigen waren, die zerlumpte Kleidung
     trugen.
    Er spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn. Um sich abzulenken, sah Germunt sich die Geschäfte und Werkstätten am Rande der
     Straße an. Da war ein Böttcher, der in einem Wassertrog Holzspäne einweichte. Ein Händler bot teure Gewänder aus Pavia an.
     An einer Ecke wurde ein neues Haus errichtet.
    Das Unausweichliche kam: Sie durchquerten das Stadttor und betraten den Platz vor der Anlegestelle. Simons Traum vom Nieselregen
     hatte Germunt schon in den ersten Augenblicken des neuen Tages verabschiedet. Nun wurde ihm auch deutlich, wie weit entfernt
     sie vom gewünschten Nebel waren, als er zwischen schaukelnden Schiffsbäuchen die Sonne auf dem Wasser glitzern sah. Es war
     ein wunderschöner Tag für einen Spaziergang. Es war ein fürchterlicher Tag für einen Raub.
    Rothari und Bertlind schienen all das nicht zu bemerken. Sie liefen fröhlich von einem Boot zum nächsten, musterten beleibte
     Händler, wichen Trägern aus und warfen sich |67| Wortspielereien zu. Simon wirkte geistesabwesend, sah still auf den Fluß hinaus.
    Eine Gruppe von blondhaarigen friesischen Händlern hatte auf einigen Kisten Tierhäute ausgebreitet: Marderfelle, Wiesel-,
     Fuchs- und Biberfelle; auch ein großes Bärenfell war darunter. Es hing mit dem Kopf bis auf den Boden, und es sah aus, als
     verneige sich der Bär vor allen Vorbeilaufenden. Vor den Kisten waren kleine Tontöpfe aufgereiht, Honig und Wachs aus dem
     dänischen Slesvig, wie die weitgereisten Händler den Vorbeilaufenden erklärten.
    Turiner boten den süßen Wein der umliegenden Hänge an, den ein Nordländer in großen Mengen kaufte. Über Bretterschanzen rollten
     Knechte die Fässer auf Ochsenkarren.
    Leinentuch wechselte mehrfach den Besitzer, eine Frau verkaufte Seife, neben ihr ein dickleibiger, schmutziger Mann Äxte und
     Messer. Gegenüber standen drei große Wannen, bis zum Rand mit Fischen gefüllt. Es roch nach Tang, Schuppen und Fischinnereien.
    Händler aus Pisa, Genua und Venedig priesen Waren aus dem fernen Osten an: wertvolle Steine, Düfte und Gewürze. Hier dämpfte
     Safrangeruch den Fischgestank.
    Ein jüdischer Händler rief mit zum Schwur erhobener Hand: »Möge der Gott, der Mose auf dem Berg Sinai das Gesetz gab, mir
     helfen, möge mich der Aussatz Naamans des Syrers treffen, wenn ich lüge – ich habe diese kostbaren Steine in Antiochia erworben!«
    »Habt Ihr nicht vorhin erzählt«, herrschte ein Turiner zurück, »daß Ihr außer Latein auch Arabisch, Persisch, Fränkisch und
     Slawisch sprecht? Wer so viele Sprachen kennt, kann ja nur lügen!«
    Zwischen all dem Gedränge trieb eine Frau Gänse mit einem Stock vor sich her, die aufgeregt schnatternd ihre Hälse in die
     Höhe reckten.
    Bertlind machte die anderen mit vielsagenden Blicken |68| auf ein Boot mit rotgestreiftem Segel aufmerksam, vor dem sich auf dem Ufer kleine Fässer stapelten. Zwei kräftige Träger
     holten immer neue aus dem Schiff an Land, und ein winziger Mann, der wohl der Besitzer war, redete mit Fistelstimme auf einen
     interessierten Käufer ein.
    »Bist du bereit, Simon?« Bertlind wandte den Blick nicht von den Fässern.
    »Ist das auch wirklich Salz?«
    »Natürlich. Würdest du deinen Tavernenkeller mit so kleinen Weinfässern füllen?«
    »Du hast recht. Ja, ich bin bereit, glaube ich.«
    Rothari schob sich bereits durch die Menschen fort vom Segler.
    »Ich bleibe hier«, erklärte Bertlind. »Viel Glück, Simon. Und du, Germunt, mach keine Dummheiten. Die Beute wird gerecht geteilt.«
    Germunt sah nach dem Hageren. Es war fürchterlich, den unruhigen Blick Simons zu sehen. Die Angst sprang einem förmlich ins
     Gesicht.
    »Bitte, ich habe Hunger.« Ein Kind, das Germunt gerade bis zum Oberschenkel reichte, hielt ihm eine dünne Hand entgegen.
    »Hau ab.«
    Immer noch stand das Kind da und sah ihn mit spatzengroßen Augen an.
Sie sind unberechenbar,
ging es Germunt durch den Kopf.
Und sie können die Lage nicht einschätzen. Plötzlich beißen sie oder schlagen und zetern. Dann wieder wollen sie

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