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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Himmel, laß dieses Tier ruhig werden!
In Farros Kehle bildete sich ein |54| durchdringendes Pfeifen, so intensiv, daß es jeder Anwesende hören mußte. Biterolf spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß.
     Die Umstehenden drehten sich um, und ein Blick auf Ansgar und Agobard bestätigte, daß auch sie in seine Richtung sahen; um
     Ansgars Augen spielte ein Lächeln, Agobard formte seinen Mund zu einem strengen, schmalen Strich. »Ruhig!« befahl Biterolf
     laut. Er spürte Wut in sich aufsteigen. Claudius wiederholte den Satz, den er eben gesagt hatte, um die Aufmerksamkeit seiner
     Zuhörer wiederzugewinnen.
    Mit der Hand fühlte der Notar, daß ein Zittern über Farros Rücken lief.
Was ist nur in ihn gefahren?
Wenigstens hatte das Pfeifen aufgehört.
    »Aus der einen Hälfte des Baumes machen die Menschen Feuerholz, vor der anderen fallen sie nieder und beten sie an. Ist das
     gut? Betet zum lebendigen Gott! Ja, er ist am Kreuz für uns gestorben. Doch auf Golgatha endete nicht sein Wirken. ›Ich bin
     der Erste, und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott‹, sagte der Herr durch Jesaja. Er duldet es nicht, daß wir
     unseren Blick von ihm wenden, weg zu irgendwelchen Götzenbildern.«
    In diesem Moment riß sich Farro los. Er brach in gerader Bahn durch die Menschen, bis er vor Ademar stand. Dort legte er die
     Ohren dicht an den Kopf, zog die Lefzen kraus und grollte furchterregend, nur um Augenblicke später in lautes, anklagendes
     Bellen zu verfallen.
    »Biterolf, nehmt Euren Hund«, rief Claudius mit scharfer Stimme, »und verlaßt die Kirche!« Da war sie, die dicke Ader, die
     wie ein Blitz quer über die Stirn des Bischofs pulste. Ein feiner, nasser Film hatte sich auf dem Löwengesicht gebildet, und
     Claudius senkt es drohend, nur wenig, aber deutlich erkennbar, ohne den Blick vom Notar zu lassen. Er streckte den Arm aus
     und wies zur Tür.
    Die Schameshitze sprengte dem beleibten Schreiber fast den Kopf. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, und kalter Schweiß rann ihm
     den Rücken hinab. Er packte Farro am |55| Nackenfell und zerrte ihn fort. Es war still in der Kirche, so schmerzhaft still, daß man die Krallen des Hundes über den
     Boden schleifen hörte. Biterolf spürte die Blicke, die ihn durch die Kleidung stachen, ahnte den Zorn des Bischofs und die
     Verachtung Ansgars von Hamburg, Agobards von Lyon.
    Man öffnete ihm die Kirchentür, sah betreten auf den Hund hinab. Die Sonne, die ihn draußen empfing, kam ihm vor wie Finsternis.
     Er lief über den einsamen Platz, würgte an einem Steinbrocken in seinem Hals, der ihm Tränen in die Augen trieb.
    Seine Hand schleifte Farro in die Schreibstube. Ohne ein Wort zu sagen, ließ er ihn dort los. Es erschien ihm wie ein böser
     Traum: Am Sonntag während des Gottesdienstes in der Schreibstube. Er durfte nichts anrühren, nicht arbeiten. Er war aus der
     Kirche hinausgeworfen worden …
    Farro zog sich in einen Winkel zurück und legte die Schnauze auf die Pfoten. Im Dunkel nahm Biterolf vor dem Schreibpult Platz.
     Er wollte kein Licht entzünden.
    Ganz leise klopfte es an der Tür.
    Das konnte nur Stilla sein. Niemand sonst klopfte so gefühlvoll.
    »Biterolf?«
    Also war auch sie in der Kirche gewesen. Er hatte sie im Gedränge überhaupt nicht gesehen. Vielleicht war sie mit Odo gekommen?
Ich möchte jetzt lieber allein sein, meine Tochter.
Biterolf wartete eine Weile, dann hörte er, wie sich Stilla wortlos entfernte. Sie hatte verstanden. Es kitzelte ihn in den
     Augen, dann rann etwas Nasses über seine Wangen.
    Seit mehr als zwanzig Jahren arbeite ich für den Bischof von
    Turin. Es gibt kaum jemanden, der dieses Amt so achtet wie ich. Und auch, wenn der neue Hirte der Gewalt wohlwollend gegenübersteht,
     empfinde ich große Hochachtung für ihn. Ich wollte für ihn schreiben! Ich wollte ihm zeigen, wie nützlich ein guter Notar
     sein kann. Seine Bücher wären ansehnlich
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geworden. Wer weiß, ob er mich jetzt überhaupt noch für sich arbeiten lassen möchte? Ich habe seine Würde mißachtet, vielleicht
     sogar Gott gelästert. – Wie soll er den hohen Gästen erklären, daß in seiner Kirche während der Weihe Hunde bellen? Dieses
     Ereignis wird an seiner Person haftenbleiben, man wird es sich erzählen in den Klöstern, auf den Straßen, die Frauen werden
     beim Waschen darüber kichern, und die Kinder werden das Kläffen nachahmen. Ich bin schuld daran. Und was, wenn die Weihe verflucht
     ist durch diese

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