Der kalte Hauch der Angst
Vertrauen entgegen. Doch seit einiger Zeit kursieren Gerüchte, die ihre Seriosität in Zweifel ziehen: Sie vergisst Termine, sie hat das Scheckheft der Firma verloren, im Verlauf der letzten Wochen in der Stadt zwei Firmenwagen geschrammt, ihren Terminplaner verlegt und aus Versehen eine Kundendatei gelöscht, die offensichtlich von äuÃerster Wichtigkeit war. Das kann ich verstehen.
Andrée hat mir Sophie als eine sympathische Frau beschrieben, sehr offen, fröhlich, ausgeglichen. Offenbar macht sie ihre Arbeit sehr ordentlich. Momentan geht es ihr nicht so gut. (Ach was!?) Sie schläft schlecht, hat Anfälle von Schwermut. Sie sagt, sie sei in Behandlung. Kurz, sie ist ziemlich neben der Spur. Und sehr einsam.
Andrée und Sophie sind keine ausgesprochen engen Freundinnen, aber es gibt nur wenige Frauen in der Firma,und so essen die beiden von Zeit zu Zeit zusammen zu Mittag. Meine Informantin wird mir gewiss noch sehr aufschlussreiche Dinge berichten.
13. Dezember
Für die Weihnachtsvorbereitungen rennen alle Leute wie wild durch die Gegend, und Sophie macht da keine Ausnahme. Heute Abend Einkäufe bei Fnac. Es ist brechend voll. Gedränge an der Kasse, man stellt seine Plastiktüte ab, um zu bezahlen, man kriegt sich mit dem nächsten Kunden in der Schlange in die Haare, man stolpert einander über die FüÃe â¦Â Und zu Hause stellt man plötzlich fest, dass man statt Real Gone von Tom Waits zwar Tom Waits in der Tasche hat, aber Bloody Money, und das ist einfach zu dumm! AuÃerdem hat man Mitternachtskinder von Salman Rushdie gekauft und fragt sich, für wen denn nur, und wie soll man das Buch nun wieder umtauschen, nachdem man auch noch den Kassenbon verloren hat â¦Â Also schreibt man eben alles in das kleine Notizbuch.
Sophie und Andrée unterhalten sich nur über allgemeine Dinge, sie sind keine richtigen Freundinnen. Lohnt meine Ausbeute an Informationen über das Paar wirklich meinen nervtötenden Umgang mit diesem fetten Trampel? Denn was ich am Ende erfahren habe, ist ziemlich mager. Vincent scheint in seiner Firma an einer »groÃen Sache« zu arbeiten, wofür das Paar alle Energien mobilisiert; Sophie langweilt sich bei Percyâs; ihr Vater wohnt im Département Seine-et-Marne und fehlt ihr seit dem Tod der Mutter sehr; sie hättegern Kinder, aber nicht jetzt; Vincent mag Sophies Freundin Valérie nicht. Na, so was!
Ich denke, ich muss die Beziehung zu dieser Kuh beenden. Das bringt mich einfach nicht richtig weiter. Ich muss eine andere Informationsquelle auftun.
14. Dezember
Sophie schreibt alles oder fast alles auf. Sie fragt sich sogar, ob sie manchmal nicht doch vergisst, alles aufzuschreiben. Plötzlich merkt sie, dass sie zweimal dasselbe notiert hat. Ihre Festnahme wegen Ladendiebstahls im letzten Monat hat sie sehr erschüttert. Die Sicherheitsleute haben sie in einen fensterlosen Raum gesperrt und sie abwechselnd gedrängt, ein Geständnis zu unterschreiben. Nach allem, was Sophie ihrer Freundin Valérie gemailt hat, sind es richtige Mistkerle, aber sie haben Erfahrung. Die richtige Taktik, um den Leuten zuzusetzen. Sophie hat nicht einmal richtig begriffen, was die Männer eigentlich von ihr wollten. Dann kam die Polizei. Die Beamten waren in Eile, sie gingen mit noch weniger Feingefühl vor. Sophie hatte die Wahl: Entweder sie kam mit aufs Revier und wurde vor den Richter gestellt, der Inflagranti-Delikte aburteilte, oder sie gestand den Diebstahl und unterschrieb das Geständnis. Sie unterschrieb. Das konnte sie Vincent unmöglich erzählen, unmöglich â¦Â Das Problem ist, dass es sich kürzlich wiederholt hat. Dieses Mal könnte sie es nicht so leicht vertuschen. In ihrer Tasche hat man ein Parfüm und ein kleines Maniküre-Etui gefunden. Doch Sophie hatte trotzdem Glück. Man hat sie zwar aufder StraÃe dingfest gemacht und aufs Revier gebracht, aber nach zwei Stunden war sie wieder auf freiem FuÃ. Sie musste sich für ihren Mann eine Ausrede einfallen lassen, der bereits ungeduldig auf sie wartete.
Am nächsten Tag hat sie ihren Wagen â und eine ganze Reihe anderer Dinge â wieder einmal nicht mehr gefunden.
Vielleicht ist es für sie eine gute Lösung, alles aufzuschreiben, aber: »Ich werde pingelig, paranoid â¦Â«, schreibt sie. »Ich überwache mich selbst wie meine eigene Feindin.«
15.
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