Der kalte Hauch der Angst
Dezember
Meine Beziehung zu Andrée ist in ihre kritische Phase eingetreten; nun müsste ich ihr vorschlagen, mit mir ins Bett zu gehen. Da das jedoch überhaupt nicht in Frage kommt, bin ich in Verlegenheit. Ich habe mich fünfmal mit ihr getroffen, wir haben alle möglichen ziemlich langweiligen Dinge zusammen unternommen, aber ich habe mich an meinen Plan gehalten â nicht über Sophie zu reden, das Thema, das mich am meisten interessiert, so wenig wie nur möglich anzusprechen: ihre Arbeit. Zum Glück ist Andrée geschwätzig und wenig zurückhaltend. Sie hat mir eine Menge Geschichten über Percyâs erzählt, und ich tat so, als würde mich das interessieren. Ich habe mit Andrée zusammen gelacht. Ich konnte sie nicht daran hindern, meine Hand zu nehmen. Sie reibt sich in einer Art und Weise an mir, die mich wütend macht.
Gestern waren wir im Kino, danach haben wir in einer ihrer Stammkneipen in Montparnasse etwas getrunken. Siehat ein paar Bekannte begrüÃt, und ich habe mich ein wenig geschämt, mit so einer Frau auszugehen. Sie hat viel geplappert und mich erfreut ihren Bekannten vorgestellt. Mir wurde klar, dass sie mich absichtlich dorthin mitgenommen hatte, um mich herumzuzeigen, um sich angesichts ihrer Figur stolz mit einer offensichtlich so lohnenswerten Eroberung zu präsentieren. Mit einiger Zurückhaltung lieà ich mich auf das Spielchen ein. Mehr brachte ich nicht fertig. Andrée war im siebten Himmel. Wir setzten uns an einen Tisch, und nie zuvor hat sie sich so sehr um mich bemüht. Den ganzen Abend lang hielt sie meine Hand. Nach einer angemessenen Zeit schützte ich Müdigkeit vor. Sie sagte, sie habe diesen Abend unendlich genossen. Wir nahmen ein Taxi, und da merkte ich gleich, dass die Dinge aus dem Ruder laufen würden. Kaum saÃen wir im Wagen, drückte sie sich schamlos an mich. Ganz offensichtlich hatte sie etwas zu viel getrunken, zumindest so viel, dass sie mich in eine unangenehme Lage brachte. Vor ihrem Haus angekommen, musste ich mich auf ihre Einladung einlassen, bei ihr »einen Absacker« zu trinken. Ich war wirklich in der Bredouille. Sie lächelte mich an, als hätte sie es bei mir mit einer geborenen Lusche zu tun. Und kaum waren wir durch die Tür, küsste sie mich natürlich gleich auf den Mund. Ich empfand unsäglichen Ekel. Ich dachte mit aller Macht an Sophie; das half ein bisschen. Andrée lieà nicht locker (ich hätte mich darauf vorbereiten müssen, aber ich hatte es nie geschafft, mir diese Situation wirklich vorzustellen), und ich stammelte, ich sei »noch nicht so weit«. Diese Worte habe ich gebraucht, die ersten, die mir eingefallen sind, das erste Mal, dass ich bei dieser Frau etwas ernst gemeint habe. Daraufhin hat sie mich so komisch angesehen; ich rang mir ein verlegenes Lächeln ab und fügte hinzu: »Es ist nicht leicht für mich â¦Â Wir müssenmal darüber reden â¦Â« Sie meinte wohl, es handle sich um eine Art sexuelle Beichte, und das schien sie zu beruhigen. Sie gehörte sicherlich zu der Sorte Frauen, die gern Krankenschwester spielen. Sie drückte meine Hand noch stärker, als wolle sie sagen: »Mach dir nichts draus.« Ich nutzte die verfahrene Situation und machte mich aus dem Staub, ich hatte echt das Gefühl, flüchten zu müssen.
Während ich die Quais entlangspazierte, verrauchte meine Wut allmählich.
21. Dezember
Vorgestern nahm Sophie eine sehr wichtige Arbeit für das Direktionskomitee mit nach Hause. An zwei Abenden musste sie sehr lange arbeiten, um die Aufgabe zu erledigen. Bis spät in die Nacht habe ich auf meinem Beobachtungsposten verfolgt, wie ihre Arbeit am PC fortschritt. Ich sah, wie sie immer wieder von vorn anfing, korrigierte, schrieb, nachschlug, schrieb und wieder korrigierte. Zwei Abende. Das müssen ungefähr neun Stunden Arbeit gewesen sein. Sophie ist wirklich fleiÃig, da gibt es nichts dagegen zu sagen. Und heute Morgen, o Schreck!, konnte sie die CD-ROM nicht mehr finden, dabei war sie sich sicher, dass sie sie vor dem Schlafengehen in ihre Handtasche gesteckt hatte. Sie stürzte an ihren Computer. Als sie ihn zum Laufen gebracht hatte â sie war ohnehin schon spät dran  â , stellte sie fest, dass auch die Originaldatei verschwunden war! Eine Stunde lang suchte und wühlte sie, sie hätte heulen können. SchlieÃlich musste sie
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