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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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in der Umgebung kursieren. Sie wurden erst ans Rathaus, dann an die Sozialstation und die Schulbehörde geschickt. In den Briefen steht Schreckliches über Laure: Sie wird als eine Lügnerin und Betrügerin beschrieben (in einem Brief wird behauptet, sie fälsche die Rechnungen der Schulkooperative), als bösartig (in einem anderen Brief steht, sie würde bestimmte Kinder misshandeln), als unmoralisch (es wird behauptet, sie unterhalte eine sündhafte Beziehung zu … SophieDuguet). Die Atmosphäre ist angespannt. Natürlich erregt das in einem Dorf, wo nie etwas passiert, größeres Aufsehen als anderswo. In ihren Mails schildert Sophie Laure als eine »sehr couragierte Frau«. Für Sophie ist das eine Gelegenheit, jemandem ein bisschen zu helfen, sie fühlt sich gebraucht.
    15. April
    Und da ist sie endlich, die berühmte Valérie!
    Ich finde, die beiden sehen sich ähnlich. Sie kennen sich seit dem Lyzeum. Valérie arbeitet bei einer internationalen Spedition in Lyon. Über »Valérie Jourdain« findet man im Internet nichts, aber für »Jourdain« gibt es Einträge über die ganze Familie, angefangen vom Großvater, der das Familienvermögen gemacht hatte, bis hin zu dessen Enkel Henri, Valéries älterem Bruder. Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Familie mit ihrer Weberei schon beträchtlichen Reichtum erlangt, und dann hat Großvater Alphonse durch einen seltenen Geniestreich ein Patent für ein synthetisches Baumwollgarn angemeldet, das der Familie zwei Generationen lang den Lebensunterhalt sicherte. Und später unternahm Alphonses Sohn, Valéries Vater, noch einen zweiten Anlauf und konnte den Zeitraum wirtschaftlicher Sicherheit durch eine Reihe lukrativer Spekulationen, vor allem durch Immobilienkäufe, von zwei auf acht Generationen ausdehnen.
    Nach allem, was ich über Valéries persönliches Vermögen herausgefunden habe, könnte sie allein durch den Verkauf ihrer Wohnung bis zu einem Alter von hundertdreißig Jahren sorglos leben.
    Ich habe gesehen, wie die beiden über das Anwesen spaziert sind. Völlig aufgelöst hat Sophie ihrer Freundin all die sterbenden Pflanzen gezeigt. Sogar einige Bäume. Keine Ahnung, was da los ist. Man will es lieber nicht wissen.
    Valérie zeigt sich voller guten Willens (sie streicht ein wenig die Wände, doch alle paar Minuten zündet sie sich eine Zigarette an, setzt sich auf einen Hocker und schwatzt, bis sie merkt, dass Sophie seit über einer Stunde ganz allein arbeitet). Das Problem ist, dass sie Angst vor Ratten hat und der Alarm, der manchmal bis zu viermal in der Nacht ganz von allein losgeht, ihr eine Heidenangst einjagt (für mich ist das natürlich viel Arbeit, aber es lohnt sich). Valérie findet das alles völlig unmöglich. Und ich kann es ihr nicht verdenken.
    Sophie hat Valérie Laure vorgestellt. All das wirkt sehr locker. Doch mit Sophie, die seit Monaten chronisch depressiv ist, auf der einen Seite und auf der anderen Seite Laure, die in Angst vor der Flut anonymer Briefe lebt, die das Dorf weiter überschwemmen, sind das für Valérie keine wirklichen Ferien …
    30. April
    Wenn das so weitergeht, wird selbst Valérie noch sauer auf Sophie. Vincent ist eine Sphinx, man weiß nie, was er denkt … Aber bei Valérie ist das etwas anderes. Valérie ist die leibhaftige Spontaneität, bei ihr gibt es nicht den Hauch von Berechnung.
    Seit einigen Tagen drängt Sophie sie, noch eine Weile zu bleiben. Noch ein paar Tage. Valérie erklärt ihr, dass dasnicht geht, aber Sophie lässt nicht locker. Sie nennt ihre Freundin »meine Süße«, aber Valérie, die zwar ihren Aufenthalt verlängern könnte, gefällt es hier nicht. Ich glaube, sie will um nichts auf dieser Welt länger bleiben. Nur, dass sie im Moment des Aufbruchs ihr Zugticket nicht mehr finden kann … Ihr kommt natürlich der Gedanke, dass Sophie alles tut, um ihre Abreise hinauszuzögern. Sophie schwört bei allen Heiligen, dass sie nichts damit zu tun hat, Valérie tut so, als sei das alles gar nicht so schlimm, Vincent macht den Eindruck, als würde er das für einen harmlosen Vorfall halten. Im Internet hat Valérie ein neues Ticket gebucht. Sie war schweigsamer, als es ihrer Gewohnheit entspricht. Auf dem Bahnhof haben sie sich umarmt. Valérie tätschelte Sophie, die weinte und den Kopf

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