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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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hängen ließ, den Rücken. Ich glaube, Valérie war froh, von dort wegzukommen.
    10. Mai
    Als ich sah, dass Laure eine Autopanne hatte, war mir gleich klar, was als Nächstes passieren würde, und kam ihr zuvor. Es hat geklappt. Am nächsten Tag schon hat Laure Sophie gefragt, ob sie ihr den Wagen leihen könnte. Sophie hilft immer gern. Alles war bereit. Ich habe alles gut vorbereitet, muss aber auch dazusagen, dass ich ein wenig Glück hatte. Laure hätte genauso gut nichts merken können. Aber sie hat es bemerkt. Als sie den Kofferraum aufgemacht hat, um ihre Einkäufe einzuladen, hat sie gesehen, dass Zeitschriften aus einer Plastiktüte herausragten. In dieser Phase, da ihr Leben von irgendwelchen anonymen Hinweisen strukturiert wird, war sieunweigerlich alarmiert. Als sie mitbekam, dass aus den Zeitschriften Buchstaben herausgeschnitten worden waren, zog sie sofort ihre Schlüsse. Ich rechnete mit einem Riesenkrach. Aber nein. Laure ist eine sehr ruhige und besonnene Frau, genau das mag Sophie an ihr so. Laure ging nach Hause, holte die anonymen Briefe, die sie in den letzten Wochen gesammelt hatte, und ging mit dem Packen Zeitschriften direkt aufs Polizeirevier in der Nachbarstadt; sie hat Anzeige erstattet.
    Sophie begann sich Sorgen zu machen, nachdem Laure nicht gleich von ihren Besorgungen zurückgekehrt war. Doch dann kam Laure, sie sagte kaum ein Wort. Durch das Fernglas sah ich sie, wie sie einander gegenüberstanden. Sophie riss die Augen auf. Direkt nach Laure fuhr der Wagen der Gendarmerie vor, sie kam zur Hausdurchsuchung. Natürlich haben die Gendarmen nicht lange gebraucht, um weitere Zeitschriften zu finden, die ich überall deponiert hatte. Der Verleumdungsprozess wird den Nordwesten Frankreichs einige Wochen lang beschäftigen. Sophie ist vollkommen fertig. Als hätte sie das auch noch gebraucht! Sie muss mit Vincent darüber sprechen. Ich glaube, Sophie wäre manchmal am liebsten tot. Sie ist schwanger.
    13. Mai
    Sophie ist am Ende. Tagelang hat sie sich im wahrsten Sinne des Wortes umhergeschleppt. Sie hat am Haus weitergearbeitet, aber eher selten und unkonzentriert. Man könnte meinen, sie weigere sich, aus dem Haus zu gehen.
    Ich weiß nicht, was mit den Handwerkern los ist, aberman sieht gar keinen mehr. Ich fürchte, die Versicherung macht Schwierigkeiten. Vielleicht hätte man zuvor eine Alarmanlage anbringen müssen, ich weiß es nicht, diese Leute machen ja immer aus jeder Mücke einen Elefanten. Kurz, es gibt keinen Vorschuss mehr. Sophie wirkt bekümmert und mutlos. Stundenlang steht sie draußen und raucht, in ihrem Zustand ist das aber gar nicht ratsam …
    23. Mai
    Den ganzen Spätnachmittag über zogen sich dicke Wolken am Himmel zusammen. Gegen 19 Uhr fing es an zu regnen. Als Vincent Duguet um 21 Uhr 15 an mir vorbeifuhr, war das Gewitter losgebrochen.
    Vincent ist ein vernünftiger und fleißiger Mann. Er fährt zügig, aber konzentriert, setzt immer den Blinker; rechts, links. Auf der Landstraße beschleunigte er. Die Straße führt mehrere Kilometer geradeaus, dann biegt sie auf einmal, ich würde sagen: jäh nach links ab. Trotz der Verkehrsschilder wurden bestimmt schon viele Autofahrer davon überrascht, zumal die Straße an dieser Stelle von recht hohen Bäumen gesäumt ist, die die Kurve verbergen: Man rast zu schnell darauf zu.
    Natürlich nicht Vincent, er fährt diese Strecke seit Wochen, und er verliert nur im äußersten Fall die Nerven. Wenn man ihn kennt, fühlt man sich bei ihm immer sicher, man denkt nicht mal an einen Unfall. Vincent näherte sich der Kurve mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der die Strecke kennt. Der Regen war stärker geworden. Ich fuhrdirekt hinter ihm. Ich überholte ihn genau im richtigen Moment und scherte abrupt wieder ein, so abrupt, dass ich mit dem hinteren Teil des Motorrads seine vordere Stoßstange berührte. Kurz vor dem Ende des Überholvorgangs geriet ich kontrolliert ins Schleudern, dann drückte ich heftig die Bremse, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das Überraschungsmoment, der Regen, das plötzlich auftauchende Motorrad, das so dicht vor ihm wieder einscherte, dass es seinen Wagen streifte, und das plötzlich vor ihm ins Schleudern geriet … Vincent Duguet kam buchstäblich ins Schwimmen. Er trat heftig auf die Bremse, versuchte die Kontrolle über den Wagen

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