Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
seinem Stuhl zurücklehnen.
»Freddy war nicht mittellos«, sagte Martine. »Was nicht heißen soll, dass er nicht ein paar Fehlinvestitionen getätigt hätte. Das war nämlich sehr wohl der Fall. Trotzdem…« Er tippte wieder mit dem Finger auf den Stapel vor sich auf dem Schreibtisch. Rebus hätte sich am liebsten sofort auf die Akten gestürzt, wusste aber, dass Martine sich auf seine Geheimhaltungspflicht berufen würde.
»Außerdem hat er eine Reihe von Gläubigern zurückgelassen«, fuhr Martine fort. »Doch keine gravierenden Sachen. Wir mussten seine Wohnung verkaufen und haben dafür sogar einen ganz annehmbaren Preis erzielt, wenn auch vielleicht nicht ganz das, was möglich gewesen wäre.«
»Genug, um die Forderungen seiner Gläubiger abzudecken?«, fragte Siobhan.
»Ja, und die Kosten unserer Kanzlei ebenfalls. Ziemlich arbeitsaufwändig, wenn jemand einfach so vom Erdboden verschwindet.« Er hielt inne. Offenbar hatte er noch ein Ass in seinem mit kostbaren Manschettenknöpfen geschmückten Ärmel. Rebus und Siobhan saßen stumm da. Sie spürten, dass er ganz begierig darauf war, seinen Trumpf auf den Tisch zu legen. Endlich beugte Martine sich vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch.
»Ich hab sogar noch etwas von dem Geld auf die Seite gebracht«, sagte er verschwörerisch. »Um damit die Lagerkosten zu bestreiten.«
»Lagerkosten?«, wiederholte Siobhan.
Der Anwalt machte eine weit ausholende Handbewegung. »Ich bin lange Zeit davon ausgegangen, dass Freddy eines Tages wieder in meinem Leben aufkreuzt. Allerdings lebendig und nicht als Leiche.« Er seufzte. »Wann ist übrigens das Begräbnis?«
»Wir kommen gerade von dort«, sagte Siobhan. Sie verzichtete auf die Bemerkung: Waren nur ganz wenige Leute dort. Eine Eilbestattung ohne persönliche Worte des Geistlichen. Ja, eigentlich hätte man auch von einem Armenbegräbnis sprechen können, nur dass der Supertramp natürlich alles andere als arm gewesen war.
»Und was genau haben Sie auf Lager gelegt?«, fragte Rebus.
»Wertgegenstände aus seiner Wohnung. Alles Mögliche: angefangen von Schreibutensilien bis hin zu einem sehr schönen Perserteppich.«
»Den Sie selbst gerne gehabt hätten, nicht wahr?«
Der Anwalt sah Rebus an. »Und dazu noch die Sachen aus seinem Büro.«
Rebus saß plötzlich kerzengerade auf seinem Stuhl. »Und wo befindet sich dieser Lagerraum?«, fragte er.
Die Antwort lautete: an einer trostlosen Straße am nördlichen Stadtrand in Granton. Die Investoren und der Stadtrat hatten mit dem ehemaligen Fischerdorf angeblich Großes vor.
»Um sich das vorzustellen, braucht man allerdings eine blühende Fantasie«, sagte Rebus, als er gemeinsam mit Siobhan dorthin fuhr.
Granton war nämlich gegenwärtig noch eine wenig ansprechende, teilweise sogar hässliche Ansammlung heruntergekommener Kaimauern und grauer Industriegebäude. Überall zerbrochene Fabrikfenster, Graffiti, Ruß speiende Laster. Doch Leute wie Sir Terence Conran waren der Meinung, dass hier demnächst ein ganz neues Einkaufs-und Freizeitparadies entstehen sollte. Zudem sollten in den alten Speicherhäusern ganz ähnlich wie in den Londoner Docklands luxuriöse Wohnungen eingerichtet werden. Diese Leute waren davon überzeugt, dass sich hier demnächst ein finanzstarkes Publikum niederlassen würde. Und natürlich sollten jede Menge Arbeitsplätze entstehen und neue Wohnungen – kurz ein ganz neues Lebensgefühl.
»Und – gibt's in der Gegend auch irgendwas Schönes?«, fragte Siobhan.
Rebus dachte kurz nach. »Das Starbank's ist nicht schlecht – ziemlich gute Kneipe«, sagte er. Sie sah ihn an. »Ach ja, richtig«, sagte er. »Ist eigentlich schon nicht mehr in Granton, eher Newhaven.«
»Seismisches Verwahrinstitut« nannte sich die Firma. Drei lange Reihen Betonbunker, die jeweils etwa dreiviertel so groß waren wie eine normale Garage.
»›Seismisch‹bedeutet, dass Ihre Dinge bei uns erdbebensicher verwahrt werden«, erklärte Gerry Reagan, der Betreiber der Firma.
»Gut zu wissen«, sagte Rebus, »schließlich haben wir ja in Edinburgh fast wöchentlich ein mittleres Erdbeben.«
Reagan lächelte. Er führte die beiden zwischen zwei langen Gebäuden hindurch. Der Himmel wurde immer dunkler, und vom Meer her wehte eine steife Brise. »Schließlich steht die Burg oben auf einem Vulkan«, sagte er. »Und können Sie sich noch an das Beben erinnern, das vor einiger Zeit Portobello erschüttert hat?«
»Aber die Ursache waren
Weitere Kostenlose Bücher