Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Raum frei gemacht und sämtliche Sachen in einer Ecke auf dem Boden aufgestapelt hatte.
»Reagan hat gesagt, dass wir den Tisch benutzen können«, sagte er. Dann zeigte er auf eine Tür. »Da drüben gibt es übrigens eine chemische Toilette und ein Waschbecken plus Teekessel. Allerdings muss man das Wasser abkochen, bevor man es trinkt.« Sie sah, dass auf dem Stuhl neben Rebus ein Becher Kaffee stand.
»Ich glaube, wir könnten alle eine Tasse gebrauchen«, sagte sie. Bevor sie den Tauchsiedertopf voll laufen ließ und einschaltete, steckte sie noch ihr Handy zum Aufladen in eine Steckdose. Rebus ging nach draußen und holte die erste Ladung
Aktenordner herein.«
»Schon ziemlich dunkel draußen«, sagte sie.
»Und wie kommen Sie zurecht?«
»In der Garage gibt es nur ein Licht. Mr. Reagan hat gesagt, dass er bis sechs Uhr bleiben kann.«
Rebus sah auf die Uhr. »Na gut.«
»Noch eins«, sagte sie. »Was wir hier tun, dient doch der Aufklärung des Grieve-Mords, nicht wahr?«
Er sah sie an. »Klar, wir können ohne weiteres ein paar Überstunden aufschreiben, wenn Sie das meinen.«
»Wäre nicht schlecht wegen der Weihnachtsgeschenke, falls ich überhaupt noch Zeit finden sollte, welche zu kaufen.«
»Weihnachten?«
»Noch nie gehört? Ein hoher Feiertag im Dezember, Fest der Liebe und so weiter.«
Er sah sie an. »Wie schaffen Sie das nur – so einfach umzuschalten?«
»Man muss nicht unbedingt besessen sein, um ein guter Polizist zu sein.«
Er trat wieder ins Freie, um weitere Aktenordner zu holen. Ein Stück entfernt sah er drei Figuren, die im Nebel arbeiteten -Wylie, Hood und Reagan. Ihre Schatten zeichneten sich überlebensgroß auf der gegenüberliegenden Wand ab. Der Anblick hatte für ihn etwas Zeitloses. Schon seit Tausenden von Jahren arbeiteten Menschen in solcher Finsternis. Und wozu? Ein Großteil der Vergangenheit ging einfach spurlos verloren. Doch er selbst und seine jungen Mitarbeiter hatten dafür zu sorgen, dass vergangene Verbrechen nicht ungesühnt blieben, ob sie nun vor zwei Tagen oder vor Jahrzehnten passiert waren. Aber nicht etwa weil das Recht oder die Gesetzesmacher es verlangten, sondern wegen der zahllosen stummen Opfer, der gepeinigten Seelen. Und natürlich auch, weil sie selbst daraus Befriedigung bezogen. Wenn es ihnen nämlich gelang, die Schuldigen dingfest zu machen, dann büßten sie auch für ihre eigenen Sünden. Wie um Gottes willen konnte man das alles nur wegen ein paar Weihnachtsgeschenken vergessen… ?
Siobhan kletterte jetzt ebenfalls aus dem Wagen, um ihm zu helfen, und brach die Magie des Augenblicks. Sie legte ihre Hände an den Mund und rief den anderen zu, dass sie Kaffee gekocht habe. Jubelschreie und Applaus. Plötzlich hatte das Ganze nichts Offenbarendes mehr, und die gespenstischen Figuren verwandelten sich wieder in normale Menschen. Reagan schlug seine behandschuhten Hände zusammen und federte vor Vergnügen auf den Zehen. Offensichtlich war er froh, dieses kleine Abenteuer zu erleben, das ein wenig Abwechslung in seinen eintönigen Alltag brachte. Hood jubelte zwar, schleppte jedoch – von seinem Pflichtgefühl getrieben – weiterhin unermüdlich Stühle aus dem einen Verschlag in den anderen. Wylie hob die Hand und signalisierte, dass sie zwei Stücke Zucker in ihren Kaffee wollte. Ja, die junge Frau wusste in der Tat ganz genau, was sie wollte.
»Merkwürdige Beschäftigung«, sagte Siobhan.
»Ja«, pflichtete er ihr bei. Doch sie meinte Reagans Job.
»Den ganzen Tag hier allein verbringen. Und dann all diese Betonkästen voller Geheimnisse, voll mit dem Gerümpel anderer Leute. Wäre bestimmt nicht uninteressant, noch ein paar weitere von diesen Verschlagen zu öffnen.«
Rebus lächelte. »Warum, glauben Sie, ist Reagan so überaus hilfsbereit?«
»Weil er ein großzügiger Mann ist?«, mutmaßte Siobhan.
»Oder weil er nicht möchte, dass wir hier herumschnüffeln.« Sie sah ihn an. »Ist auch der Grund, weshalb ich so lange in seinem Büro geblieben bin. Ich hab mir nämlich mal seine Kundenkartei vorgenommen.«
»Und?«
»Ein paar Namen habe ich wiedererkannt: Hehler, die in Pilton und Muirhouse wohnen.«
»Also ganz hier in der Nähe.« Rebus nickte. »Aber ohne Durchsuchungsbefehl geht natürlich nichts.«
»Trotzdem gut zu wissen, falls dieser Reagan Schwierigkeiten macht.« Er blickte sie an. »Außerdem kann es uns nur nützen, wenn wir das nächste Mal gegen einen dieser Typen ermitteln. Was hilft uns schon ein
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