Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
vielleicht Turnschuhe. Der Mann, den ich deutlicher gesehen habe, hatte kurz geschnittenes Haar – entweder dunkelbraun oder schwarz. Dazu große blasse Augen wie ein Basset-Hund und Hängebacken. Er hatte so einen merkwürdigen Zug um den Mund, als ob er gerade etwas Unangenehmes erfahren hätte. Außerdem war er ziemlich groß, mindestens einsachtzig, und hatte breite Schultern. Meinen Sie wirklich, er könnte was damit zu tun haben? Mein Gott, dann wäre ich ja der Letzte, der den Mörder gesehen hat…
»Was halten Sie davon?«, fragte Linford.
Rebus sah gerade die anderen Protokolle durch.
»Klar«, sagte Linford, »natürlich nichts Sensationelles.«
»Doch, find ich sehr interessant.« Offenbar hatte Linford mit einer so positiven Reaktion nicht gerechnet. »Sehr präzise ist die Beschreibung allerdings nicht. Großer breitschultriger Mann… das trifft auf relativ viele Männer zu.«
Linford nickte. Er hatte auch schon darüber nachgedacht. »Wir könnten natürlich ein Phantombild machen… Cowan ist jedenfalls bereit, daran mitzuwirken.«
»Und was dann?«
»Wir könnten es dort in der Gegend in den Lokalen aushängen. Vielleicht wohnt der Betreffende ja sogar in der Gegend. Nach der Beschreibung zu urteilen, könnte es sich sogar um einen Maurer handeln.«
»Sie meinen, einen Bauarbeiter?«
Linford sah ihn fragend an. »Vielleicht hilft uns ja das Phantombild weiter…«
Rebus gab ihm die Protokolle zurück. »Einen Versuch ist es jedenfalls wert. Meinen Glückwunsch.«
Sofort plusterte sich Linford wie ein Gockel auf, und Rebus fiel wieder ein, weshalb er ihn von Anfang an nicht hatte ausstehen können. Das kleinste Lob, und der Mann rastete völlig aus.
»Aber Sie werden mich natürlich auch in Zukunft nicht in Ihre Karten schauen lassen, nicht wahr?«
»Genau das.«
»Und mir auch weiterhin Ihre Erkenntnisse vorenthalten?«
»Ist im Augenblick besser für Sie, Linford, glauben Sie mir.«
Linford nickte zustimmend. »Und was soll ich dann tun?« Rebus öffnete die Beifahrertür.
»Am besten, Sie lassen sich in der St. Leonard's Street erst wieder blicken, wenn Sie diesen Brief geschrieben haben. Sorgen Sie dafür, dass Siobhan ihn noch heute erhält – aber nicht vor heute Nachmittag, damit sie noch etwas Zeit hat, sich zu beruhigen. Morgen können Sie dann vielleicht wieder aufkreuzen. Wie gesagt, vielleicht.«
Linford schien über diese Auskunft geradezu beglückt. Er wollte Rebus die Hand schütteln, doch der machte einfach die Tür zu. Nein, diesem Fatzke konnte er die Hand nicht reichen: Mochte der Mann auch ein Goldkorn entdeckt haben, ein Alchimist war er deshalb noch lange nicht. Außerdem traute ihm Rebus noch immer nicht über den Weg. Vielmehr war er davon überzeugt, dass der Bursche selbst seine Großmutter verhökern würde, wenn er sich davon einen beruflichen Vorteil erhoffte. Die Frage war: Was würde Linford tun, wenn er seine berufliche Positi on bedroht sah?
Ein trister Anlass, ein trister Ort.
Siobhan war mit Rebus gekommen. Auch die Polizistin war da, die an dem Abend, als »Mackie« gesprungen war, auf dem Bahnsteig zu Siobhan gesagt hatte: Sind Sie nicht in Inspektor Rebus' Abteilung? Außerdem ein Geistlicher und ein paar Gesichter, die Siobhan vom Grassmarket her kannte. Die Gestalten nickten ihr zur Begrüßung zu. Mit Zigaretten konnte sie allerdings nicht dienen, da sie nämlich keine bei sich hatte. Auch Dezzi war da und schluchzte in ein Knäuel rosa Toilettenpapier. Offenbar hatte sie irgendwo ein paar schwarze Klamotten aufgegabelt: einen spitzenbesetzten Rock und eine reichlich mitgenommene Spitzenstola. Außerdem schwarze Schuhe – an jedem Fuß einen anderen.
Von Rachel Drew keine Spur. Vielleicht wusste sie nichts von dem Termin.
Die Grabstätte war also nicht gerade brechend voll. Irgendwo in der Nähe krächzten ein paar Krähen so laut, dass die hastig hingesprochenen dürren Worte des Geistlichen kaum zu verstehen waren. Eine der Damen vom Grassmarket stieß ihrem Begleiter alle paar Minuten in die Rippen, weil er ständig einzunicken drohte. Jedes Mal, wenn der Geistliche den Namen Freddy Hastings aussprach, stöhnte Dezzi auf. Als dann alles vorüber war, machte Siobhan auf dem Absatz kehrt und ging mit raschen Schritten davon. Sie wollte mit niemandem sprechen, schließlich war sie nur aus Pflichtgefühl gekommen und wollte so schnell wie möglich wieder weg.
Als die beiden ihre Autos erreichten, sah sie Rebus zum ersten Mal an.
»Was
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