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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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inn los erscheinen zu lassen. Aus diesem Grund machte die sozialliberale Regiert mgskoalition in der Bundesrepublik zwischen 1974 und 1983 immer wieder deutlich, daß sie es nicht hinnehmen könne, wenn l iiropa sicherheitspolitisch vernachlässigt werde. Dies hatte Schmidt 1974 gegenüber Breschnew ebenso geäußert wie später gegenüber den Amerikanern. Bezeichnenderweise war die Forderung nach Einführung der sogenannten Neutronenbombe ab 1970 in Westdeutschland aufgekommen, da sie sich nach Meinung der Experten gerade zur Abwehr der gefürchteten überlegenen Panzerkräfte des Warschauer Paktes anbot. Als Schmidt dann Mitte 1977 eine «Nachrüstung» einforderte, herrschte auch zwischen der Regierungskoalition aus SPD und FDP und den Oppositionsparteien CDU/CSU - artikuliert durch ihren sicherheitspolitischen Sprecher Manfred Wörner - prinzipielle Einigkeit darin, daß die Neutronenwaffe angesichts der konventionellen Überlegenheit des Ostblocks notwendig sei. Allerdings war die SPD in dieser Frage keineswegs geschlossen. Die US-Regierung zeigte für die westeuropäischen und speziell für die deutschen Sorgen großes Verständnis, wie Carters Sicherheitsberater Brzezinski, der dann auch unter Reagan in seinem Amt blieb, in seinen Memoiren bestätigte. Die SS-20 und der 1975 eingeführte sogenannte Backfire- Bomber - die TupolevTu-26 - hätten in Europa kein Gegengewicht gehabt und darüber hinaus die alte Frage, welche Ziele die Sowjets in Europa anstrebten, neu gestellt. 20 Wenig bekannt ist, daß bereits vierzehn Tage vor Schmidts Londoner Rede eine sogenannte High Level Group innerhalb der NATO gebildet worden war, die sich ausdrücklich mit Fragen der Modernisierung der taktischen Nuklearwaffen beschäftigte.
    Die Ost-West-Verhandlungen, die zwischen dem Doppelbeschluß 1979 und der schließlich 1983 vollzogenen Stationierung von 464 Marschflugkörpern und 108 Mittelstreckenraketen des Typs Pershing II in der Bundesrepublik, in Italien und in Großbritannien geführt wurden, verliefen unter diesen Umständen deprimierend schleppend. Auf sowjetischer Seite beharrte man auf der Auffassung, die Aufstellung der SS-20 sei eine «Modernisierung» und in keinem Falle eine zusätzliche Aufrüstung. In der Tat waren die Typen R-12 (SS-4 Sandal ) und R-14 (SS-5 Skean), die ersetzt werden sollten, noch aus der Kubakrise bekannt und - in den Dimensionen des Rüstungswettlaufs gerechnet - Museumsstücke. Dies schmälerte natürlich nicht ihr Zerstörungspotential. Keine Seite wollte nachgeben. Eine sogenannte «Null-Lösung», das heißt, der Verzicht beider Seiten auf «Modernisierungen», wurde von den Sowjets 1981 ebenso abgelehnt wie der im folgenden Jahr nachgeschobene US-Vorschlag, die sowjetischen SS-20 hinter den Ural zurückzuziehen und sie damit außerhalb Europas zu stationieren. Das Angebot war im übrigen auch in den USA nicht durchsetzbar, da mittlerweile Reagan auf der Modernisierung der eigenen Mittelstreckenraketen in Europa bestand. Nach der Stationierung der neuen NATO-Raketen 1983 brach die Sowjetunion dann die INF-Verhandlungen über die Mittelstreckenwaffen in Genf demonstrativ ab. Erst Jahre später, lange nach dem Amtsantritt Gorbatschows, konnte 1987 der Abbau sämtlicher Mittelstreckenraketen in Europa vereinbart werden.

    1 iner der Anfänge vom ende des OSTBLOCKS Der Vorsitzende der Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Wal^sa. Das Bild zeigt ihn bei einer Kundgebung am 17. Juni 1983 vor der Lenin-Werft in Danzig.
    Die Gründe für die auffallende Zurückhaltung der Sowjets gegenüber den amerikanischen Vorschlägen und für ihren tief verwurzelten Argwohn waren vielfältig. Zum einen war ein prinzipielles Mißtrauen gegenüber Vorschlägen aus den USA, an denen der Sicherheitsberater Brzezinski in irgendeiner Weise beteiligt war, schon seit Jahren bekannt. In Moskau hielt man ihn für einen der größten antisowjetischen Scharfmacher in der US-Regierung. Zum anderen befürchtete die UdSSR Nachteile bei den Verhandlungen, sobald Raketen schlicht addiert wurden. Die Amerikaner besaßen nicht nur bei den Strategischen Bombern nach wie vor ein deutliches Übergewicht, sondern lagen auch in der technischen Entwicklung einiger Waffensysteme eindeutig vorn, so etwa bei den technisch aufwendigeren Marschflugkörpern, die nahezu unbemerkt unter dem Radarschirm ins gegnerische Gebiet einflie-gen konnten. Reagan forcierte solche sowjetischen Befürchtungen ausdrücklich, als er am 23. März 1983 das

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