Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
weltraumgestützte SDI-Raketenabwehrsystem ankündigte.
Nicht nur auf waffentechnischem Gebiet fühlte sich Moskau herausgefordert. Ermuntert durch die auch während der KSZE-Folgetreffen geführte Diskussion um Menschenrechte und Demokratie, war im Sommer 1980 im Ostblock die erste nichtstaatliche freie Gewerkschaft Solidarnos'c (Solidarität) in Polen entstanden. Unmittelbarer Auslöser war eine im Juli 1980 von der Warschauer Regierung um Ministerpräsident Edward Gierek verkündete drastische Erhöhung der Fleischpreise gewesen, die unmittelbar danach zu landesweiten Streiks führte. Eine der größten Arbeitsniederlegungen hatte am 14. August auf der Lenin-Werft in Danzig (Gdansk) begonnen. An ihr nahmen rund 17 000 Arbeiter teil. Die Bewegung war erfolgreich: Nicht nur Gierek war am 5. September 1980 zurückgetreten. Schon eine Woche davor hatte die polnische Regierung in einem Abkommen mit Vertretern der Werftarbeiter in Gdansk um ihren Sprecher Lech Wal^sa sogar zugestimmt, daß in Zukunft nicht nur eine unabhängige Gewerkschaft, sondern auch Arbeitsniederlegungen legal sein sollten -ein Novum in der Geschichte des Ostblocks. Am 17. September 1980 war dann die Gewerkschaft Solidarnos'c offiziell gegründet worden. In einem Aktionsprogramm bekannte sie sich ausdrücklich zu den Prinzipien westlicher Demokratie und den Traditionen des Christentums, aber auch zur Nation und zur sozialistischen Gesellschaftsidee. «In uns lebt das Gefühl der Verbundenheit mit den Generationen von Polen, die für nationale Freiheit und soziale Gerechtigkeit gekämpft und uns die Traditionen der Toleranz und der Brüderlichkeit sowie der Verantwortung der Bürger für die Republik und der Gleichheit vor dem Gesetz überliefert haben», hieß es im Aktionsprogramm der Gewerkschaft im April 1981. 21
Nicht nur in der Sowjetunion sah man die Entwicklung in Polen mit Sorge. Vor allem die DDR-Regierung befürchtete ein Übergreifen. Es war Erich Honecker, der als erster in einem Brief an Breschnew am 26. November 1980 «kollektive Hilfsmaßnahmen für die polnischen Freunde bei der Überwindung der Krise» einforderte. 22 Auch andere Ostblockstaaten wurden von Honecker aufgerufen, sich dafür einzusetzen, «die Konterrevolution in Polen ein für allemal zu vereiteln». 23 In Moskau war man von der ostdeutschen Aufforderung, in Polen die Breschnew-Doktrin zu exekutieren, wenig begeistert. Zum einen hatte man ohnehin genügend Imageprobleme. Zum anderen intervenierte man gerade in Afghanistan, und auch dort entwickelte sich die Lage wenig wunschgerecht. Zum dritten war es nicht unrealistisch, daß ein Einmarsch ein Desaster werden könne. Immerhin hatten die Polen seit 1956 mehrfach gezeigt, daß sie sich nicht widerspruchslos in den Ostblock einfügen wollten. In Polen selbst hatte bereits am 10. Februar 1981 der als Hardliner bekannte Verteidigungsminister General Wojciech Jaruzelski anstelle des Gierek-Nachfolgers Stanislaw Kania das Amt des Ministerpräsidenten und dann im Oktober auch das des Parteichefs übernommen. Beides war ein deutliches Zeichen, wie groß der Druck der übrigen Ostblockstaaten war. Während des gesamten Jahres 1981 wurden dann die Argumente für und gegen einen Einmarsch heftig diskutiert. Eine besonders intensive Debatte führte man im Dezember 1981 noch einmal im Politbüro der KPdSU, in dessen Verlauf der für die «Polenfrage» verantwortliche Michail Suslow ausdrücklich vor der Truppenentsendung warnte. Dies, so Suslow, «würde eine Katastrophe sein». 24 Am Ende stand ein Kompromiß: kein Einmarsch, aber die Verhängung des Ausnahmezustands. Seit dem 13. Dezember 1981 stand Polen unter Kriegsrecht. Bis zur Aufhebung im Juli 1983 übernahm ein «Militärrat der Nationalen Errettung» mit 21 Mitgliedern die Führung des Landes, für das nun unter anderem ein Versammlungsverbot und eine Ausgangssperre galten. Schließlich wurde im Oktober 1982 auch die auf rund zehn Millionen Mitglieder angewachsene Gewerkschaft Solidarnosc verboten. Ihre Führer wurden verhaftet und interniert.
Die USA reagierten geradezu lehrbuchartig gemäß ihrer traditionellen Strategie. Faktisch entsprach die Situation in Polen ab 1980 wieder dem seit drei Jahrzehnten in den US-Gremien diskutierten Szenario eines unmittelbar bevorstehenden großen Aufstandes der «Captive People». Am 29. Dezember 1981 wurden Wirtschaftssanktionen sowohl gegenüber Polen als auch der Sowjetunion verhängt. Ihr Zweck sei es, der Sowjetunion
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