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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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zugunsten der Ausübung militärisch-politischen Drucks endgültig verlassen worden. Hieraus seien die Widerstände gegen Moskau und den Kommunismus innerhalb des sowjetischen Machtbereichs - so unterschiedlich sie im einzelnen auch begründet waren - entstanden. Die zweite Erklärung gibt den externen Gründen die Hauptverantwortung am Niedergang. Nach dieser Deutung hatte der Westen durch seine Offensive gegen den Kommunismus seit dem Beginn des Kalten Krieges, schließlich vor allem auch durch die Ankündigung des SDI-Programms, die Sowjetunion besiegt. Vor allem die US-Präsidenten Reagan und Bush haben immer wieder die «unbeugsame Haltung» des Westens herausgehoben, die den Ostblock schließlich gezwungen habe, nachzugeben. Man kann noch eine dritte Erklärung anbieten, die beide Auffassungen verknüpft, aber die Bedeutung der Entspannungspolitik als eine zahmere Version der Befreiungsidee, wie sie John F. Kennedys Strategy of Peace oder Egon Bahrs «Wandel durch Annäherung» letztendlich waren, stärker heraushebt. Beide Ideen beruhten auf der Magnettheorie als Teil der Liberation Policy, lehnten aber offensivere Formen der Befreiung vom Kommunismus strikt ab. Kennedy wie Bahr hatten zu Beginn der Sechziger ausdrücldich gezielte Informationsund Handelspolitik, insbesondere menschliche Kontakte als Strategie zur Auflösung des Ostblocks vorgeschlagen. Man kann nicht bestreiten, daß sich dies zumindest für Europa als erfolgreich erwies.
    Die Verknüpfung aller drei Thesen trifft wahrscheinlich am ehesten die historische Wahrheit: Die Sowjetunion stand in den achtziger Jahren innen- wie außenpolitisch vor enormen Herausforderungen. Gleichzeitig schien auf die bisherige Weise keine tragfähige Lösung mehr möglich. Zu den Verstärkern der Krise gehörten neben dem vom Westen angekündigten immens teuren SDI-Programm, das im Fall einer erfolgreichen Einführung die über Jahre angehäuften und modernisierten Nuklearwaffen auf einen Schlag nutzlos gemacht hätte, insbesondere die intensiver geäußerten Konsumansprüche der Bevölkerung im gesamten sowjetischen Machtbereich. Sie waren durch die elektronischen Medien des Westens erheblich forciert worden. Mit ihnen verband sich schließlich die Forderung nach mehr persönlicher Freiheit und politischer Selbstbestimmung, der der Ostblock nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte von Helsinki nur wenig entgegenzusetzen hatte. Die Gemengelage der Krise und die Notwendigkeit komplexer Erklärungen für das Ende des Kalten Krieges hat namentlich der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger ausdrücklich betont. Sicher ist aber auch, daß der risikobehaftete Weg der Reformen von der Sowjetunion nicht zwangsläufig hätte beschritten werden müssen. Die UdSSR und der Ostblock hätten in irgendeiner Form weiterbestehen können. Wie lange das gutgegangen wäre, ist eine andere Frage. So war es tatsächlich der «Ausnahmepolitiker» Gorbatschow, der die ausschlaggebende Rolle spielte. Er verwirklichte seine persönlichen Reformvorstellungen, um die Sowjetunion im Systemkonflikt zukunftsfähig zu machen, und er setzte seine Politik fort - selbst, als sich die unbeabsichtigten Folgen zeigten. Gorbatschow gelang es, den sowjetischen Staats- und Parteiapparat zu überzeugen, daß mit den inneren Reformen auch eine grundlegende Neubestimmung der sowjetischen Innen- und Außenpolitik notwendig sei, wenn man nicht alles verlieren wolle. Die Perestroika interpretierte zum ersten Mal in der sowjetischen Geschichte den Rückzug aus bereits erreichten außenpolitischen Positionen nicht als Niederlage, sondern als Erfolg und als Notwendigkeit des sozialistischen Modells. Das «Neue Denken» betonte dabei vor allem den überfälligen Wandel von der Klientel- zur Kooperationsbeziehung gegenüber den Satellitenstaaten. Verbunden war dies mit dem gleichzeitigen Abschied von der Vorstellung, jede selbständige Entscheidung in einem der «Bruderstaaten» müsse sanktioniert werden. Ähnliche Vorstellungen herrschten in Moskau auch über die zukünftige Einflußnahme auf die Dritte Welt. Allerdings hatte man zunächst die Hoffnung, auch dort würden Reformkommunisten die Macht übernehmen und so den Bestand des «Sozialistischen Weltsystems» sichern.
    Der amerikanische Politologe Myron Rush hat aus der Tatsache, daß Gorbatschow in der Reihe sowjetischer Generalsekretäre der
    Nachkriegszeit sowohl durch sein Alter als auch durch seine Reformbereitschaft die absolute Ausnahme

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