Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Raketenproduktion völlig anders aus. Auch das war eine Parallele zu den USA. Nach dem Abzug der Amerikaner hatten sowjetische Wissenschaftler -unter ihnen der damals noch unter NKWD-Bewachung stehende spätere Staringenieur Sergej Koroljow - im Juni 1945 die verbliebenen deutschen Produktionsanlagen in Thüringen besichtigt. Die unzerstörten Werke der deutschen Flugzeug- und Raketentechnik in Nordhausen wurden zum Grundstock der zunächst dort belassenen sowjetischen Raketenproduktion, in der Koroljow die wissenschaftliche Leitung übernahm. Von deutscher Seite wurde hier Helmut Gröttrup, ein enger Mitarbeiter Wernher von Brauns aus Peenemünde eingesetzt. Da man Probleme bei der Geheimhaltung, vor allem aber auch die Flucht der deutschen Spezialisten nach Westen fürchtete, entschieden sich die Sowjets allerdings nur wenige Monate später, alles in die UdSSR zu verlagern. Mit der minutiös vorbereiteten, wenn auch in der Praxis teilweise chaotisch durchgeführten Operation Osoawjachim in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1946 wurde nicht nur das deutsche Personal abtransportiert. Kurz danach wurden auch alle Produktionsanlagen abgebaut und die Reste systematisch zerstört. Die Flugzeugindustrie verlagerte man ins sowjetische Industriezentrum Kuibyschew, wo in den kommenden Jahren auch die ersten atomwaffenfähigen Bomber entstanden. Raketenforschung und -produktion fanden nun unter anderem auf der Insel Gorodomlia im Seligersee und in Podlipki bei Moskau statt. Podlipki wurde schließlich auch zum Standort für das zentrale Raketenforschungsinstitut der Sowjetunion («Nil 88»), Bis 1947 gelang es auch den Sowjets, eine einsatzfähige Kopie der deutschen V-2 herzustellen, die hier R-l Pobe-da (Sieg) hieß. Als 1949 die erste sowjetische Atombombe einsatzfähig wurde, war mit der R-14 zumindest auf dem Papier auch eine erste sowjetische Trägerrakete konstruiert. 77 Die Serienproduktion begann allerdings erst zehn Jahre später, und die erste wirklich erfolgreiche sowjetische Interkontinentalrakete, die R-16 (DIA/NATO-Code: SS-7 Saddler), konnte erst 1961 nach erheblichen technischen Problemen in Dienst gestellt werden.
Inwieweit die Sowjets wie die Amerikaner deutsche Experten für die strategische Planung rekrutierten, ist weit schwieriger zu rekonstruieren. Unbestritten ist, daß gefangengenommene deutsche Generäle seit 1943 gezielt verhört wurden und wie ihre Kollegen im Westen Denkschriften verfaßten. Interessant genug waren sie. Feldmarschall Friedrich Paulus etwa, der nach der Kapitulation der 6. deutschen Armee in Stalingrad in sowjetischer Gefangenschaft Berichte verfaßte, war vor seiner Verwendung als Planungschef für den Krieg gegen die Sowjetunion unter anderem als Chef des Stabes im Krieg gegen Frankreich eingesetzt worden. Zwar rissen Gerüchte über eine sowjetische «Paulus-von-Seydlitz-Armee» in den ersten Nachkriegsjahren nicht ab, was speziell die Amerikaner sorgenvoll beobachteten. Zu einem Einsatz von Paulus durch die Sowjets als Experten für die Kriegsführung gegen den Westen oder ähnliches kam es aber nicht. 78 Im Fall des ehemaligen Wehrmachtsgenerals Vincenz Müller, der sich wie Paulus oder von Seydlitz im Bund deutscher Offiziere (BdO) und im Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) engagiert hatte, sah dies schon anders aus. Der sich politisch als äußerst anpassungsfähig erweisende Müller brachte es bis 1956 zum Stellvertretenden Verteidigungsminister der DDR. Im Zuge der vom SED-Politbüro im Februar 1957 beschlossenen Entlassung aller ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, wurde er allerdings 1958 in den Ruhestand versetzt. 79 Dieser - wenn man so will - vorsichtige Umgang in der Einbindung belasteten Personals war auch in anderen Bereichen zu beobachten. Das ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beispielsweise verzichtete, wie der sowjetische Geheimdienst, völlig auf einschlägig nationalsozialistisch belastetes hauptamtliches Personal. 80 Wenn es sich allerdings lediglich um zeitweilig beschäftigte Agenten handelte, wurde auch hier nicht so genau hingesehen.
2. Strategien für eine totale Auseinandersetzung 1945-1947
Die Befreiung vom Kommunismus
Gerüchte über einen Krieg zwischen den Westmächten und der Sowjetunion waren seit 1945 an der Tagesordnung. Bereits einen Monat nach der deutschen Kapitulation berichtete der sowjetische Geheimdienst über Gerüchte in der Sowjetunion, nach denen «Amerika Rußland den Krieg erklärt» habe. 1 Ähnliches
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