Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
wußte die Journalistin Margret Boveri Anfang September 1945 aus Berlin zu berichten, wo die Runde machte, die SBZ solle von den Westmächten bombardiert werden. 2 Im Januar 1946 notierte der in Dresden lebende Hochschullehrer Victor Klemperer in seinem Tagebuch, Gerüchte besagten, die Amerikaner seien auf dem Weg nach Osten und auch britische Truppen habe man bereits mobilisiert. 3 Nur wenige Monate später meldete der Journalist Isaac Deutscher, auch unter Polen werde nun die Auffassung vertreten, ein Krieg des Westens gegen die UdSSR stehe unmittelbar bevor. 4
Für die Entstehung des Kalten Krieges ist von Bedeutung, daß dieses öffentliche Klima auch die politischen und militärischen Planungsgremien auf beiden Seiten beherrschte. Seit Roosevelts Tod waren im Westen die antikommunistischen Reflexe wieder deutlich in den Vordergrund getreten. Truman vermerkte im Januar 1946, er sei jetzt überhaupt nicht mehr der Meinung, daß man mit den Sowjets «länger auf Kompromisse spielen» solle. 5 Die zwischen Kriegsende und 1947 vorgelegten ersten Entwürfe für eine globale Strategie, die dann rasch auch in die öffentlichen Debatten der amerikanischen Wahlkämpfe gerieten und sich zusätzlich radikalisierten, waren durchgängig offensiv. Die hektische Suche nach einer erfolgversprechenden Strategie orientierte sich in den USA deutlich an den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Das Negativbild schlechthin blieb die britische Appeasement-Politik . Beschwichtigung, so war die übereinstimmende Vorstellung amerikanischer Politik im Jahr 1945/46, sei der direkte Weg in den Dritten Weltkrieg. Dies machte Truman ebenso deutlich wie der ab 1946 zum Stabschef berufene Dwight D. Eisenhower, der 1953 auch die Nachfolge Trumans als Präsident antrat. Auch John F. Kennedy, der 1946 als demokratischer Abgeordneter seinen ersten Wahlkampf bestritt, war dieser Auffassung und hielt ab 1961 auch als Präsident daran fest. 6
Die grundsätzliche Annahme in den USA, daß Nationalsozialismus und Bolschewismus auch in ihrer Aggressivität vergleichbar seien, fußte auf der hier seit dem Hitler-Stalin-Palct von 1939 heiß diskutierten Totalitarismustheorie. Die Tatsachen sprachen, so die fast einhellige Meinung, für die Auffassung, daß Stalin so handeln werde wie Hitler. Der außenpolitische Experte der Republikanischen Partei, John Foster Dulles, zum Beispiel glaubte, den entscheidenden Hinweis auf die weitere sowjetische Außenpolitik in Stalins Schrift Fragen des Leninismus gefunden zu haben, die ebenfalls 1939 erschienen war. Dieser sprach er ähnliche Aussagekraft wie Mein Kampf zu. 7 Hitlers Buch wurde zum selben Zeitpunkt von der Anklage des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg immerhin als direkte Anleitung zur Eroberung der Welt gewertet.
Deutlichster Ausdruck dieser Rückkehr zum traditionellen Feindbild wurde das bereits erwähnte, im Februar 1946 aus der US-Botschaft in Moskau nach Washington gesandte «Lange Telegramm» George F. Kennans. Daß dessen radikale Schlußfolgerung, mit der Sowjetunion und dem Kommunismus könne es aufgrund der diametral unterschiedlichen politischen Kultur keinen Modus vivendi geben, sich in den dortigen Regierungskreisen rasch durchsetzte, hatte neben den «Tatsachen» der sowjetischen Politik in Ostmitteleuropa wohl auch damit zu tun, daß selbst der gegenüber Stalin häufig nachsichtige Roosevelt kurz vor seinem Tod von der Notwendigkeit der «Eindämmung» der Sowjets gesprochen hatte. Zustimmung signalisierten alle wichtigen politischen Institutionen. Der als einflußreicher antikommunistischer Hardliner bekannte Marineminister James Forrestal sorgte dann sogar dafür, daß Kennan seine Gedanken im Juni 1947 noch einmal ausführlich, aber anonym in der angesehenen Zeitschrift Foreign Affairs unter dem Titel The Sources ofSoviet Conduct (Die Grundlagen sowjetischen Verhaltens) veröffentlichen konnte.
Am 12. März 1947 stellte Truman in einer Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses die Eindämmungsstrategie zum ersten Mal offiziell vor. Aktueller Anlaß war der seit August 1946 eskalierende Bürgerkrieg in Griechenland. In der Ansprache ging es zwar vordergründig lediglich um die Gewährung von 400 Millionen Dollar Wirtschafts- und Militärhilfe für die Region. Deutlich stellte die Rede aber den bisherigen gemeinsamen Kampf gegen «totale Regierungsformen» in den Mittelpunkt und verwies auf die Gefahr, daß bei Duldung der kommunistischen Expansionen nicht nur die
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