Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Wehrmachtsführungsstabs. Welche Hoffnung wiederum die Deutschen bei dieser Zusammenarbeit antrieb, faßte Hermann Teske, ein Mitarbeiter Haiders, 1952 zusammen. Man habe zwar nicht daran geglaubt, daß man «zusammen mit den Amerikanern [...] westliche Operationspläne gegen Sowjetrußland» erstelle. Aber man sei überzeugt gewesen, daß man «hier seinen großen, 200jäh-rigen Auftrag bewußt seinem Nachfolger, dem derzeitigen Beschützer des Abendlandes und der christlichen Kultur» überantwortete. Die «Übergabe der reichen Erfahrungen des ältesten Generalstabes der Welt an den Westen bedeutete auch ohne eine politisch-strategische Richtung die eindeutige Einreihung in die Kräfte des Abendlandes». 71
Wahrscheinlich weitaus größere Bedeutung als dieses Material hatte für die Amerikaner der Chef der ehemaligen Generalstabsabteilung «Fremde Heere Ost» (FHO), Reinhard Gehlen. Auch er stellte sich unmittelbar nach Kriegsende im Mai 1945 den Amerikanern. Und auch er wußte bereits, wonach die US-Stellen fahndeten. Seine mitgebrachten Dienstunterlagen brachten nicht nur die so dringend erforderlichen Informationen über die Sowjetunion. Insider versicherten, daß bis zu 70 Prozent der US-Geheim-dienstinformationen am Beginn des Kalten Krieges aus dem FHO-Bestand stammten. 72 Darüber hinaus verstärkten sie das bei den Amerikanern sich nun durchsetzende negative Bild über die Sowjets. Dazu trug nicht zuletzt bei, daß Gehlen immer wieder versicherte, daß der deutsche Angriff 1941 Stalins Plänen nur um wenige Zeit zuvorgekommen sei.
Zu den wohl geheimsten, weil politisch anrüchigsten Tätigkeiten der Amerikaner in dieser Konstituierungsphase des Kalten Krieges gehörte allerdings die Rekrutierung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern. Der Fall des Ukrainers Mikola Lebed wies eine deutliche Parallele zu den Fällen Gehlen und Dornberger auf. 73 Lebed stammte aus der Führung der mit den Deutschen im Zweiten Weltkrieg kollaborierenden antikommunistischen «Organisation Ukrainischer Nationalisten» (OUN). Er war zugleich Mitbegründer ihres militärischen Arms, der «Ukrainischen Aufständischen Armee» (UPA), gewesen und wurde - politisch am brisantesten - verdächtigt, aktiv an der Ermordung der europäischen Juden beteiligt gewesen zu sein. Angesichts dieser Biographie stellte sich auch Lebed erst dann den US-Stellen zur Verfügung, als der Kalte Krieg offiziell geworden war. Mitte 1947 übergab er seine Geheimdienstunterlagen. Zwei Jahre später wurde auch er unter Umgehung der Einwanderungsbestimmungen anonym in die USA gebracht. Lebed gehörte damit zu jener Gruppe antikommunistischer Spezialisten aus deutschen Diensten, die im Rahmen der von George Kennan geführten Operation Bioodstone seit 1948 gezielt gesammelt und für eine Verwendung in der Sowjetunion vorbereitet wurden. Tatsächlich wurde Lebed schließlich zu einer der wichtigsten Verbindungsstellen zwischen antikommunistischen Emigrantenorganisationen und der US-Regierung. Auch anderes OUN-Personal verwendete man einschlägig weiter. Ihr ehemaliger Chef, Stepan Bandera, auf dessen Initiative in der Bundesrepublik der radikale «Antibolschewistische Block der Nationen» (ABN) als eine der langlebigsten antikommunistischen Lobby-Gruppen im Kalten Krieg entstand, wurde später von Gehlen für den westdeutschen Bundesnachrichtendienst (BND) angeworben.
Im Vergleich zu den US-Stellen interessierten sich die Sowjets, als sie deutsches Reichsgebiet betraten, zwar unter anderem auch für die gesamte Rüstungsindustrie, überproportional stark jedoch für die Nukleartechnik. 74 Im Vorgehen bestanden nur wenige Unterschiede. Auch sie sammelten in jenen Gebieten, die - wie der Westteil Berlins - später vertragsmäßig an die Westmächte zu übergeben waren, alles ein, um keinesfalls militärisch nutzbares Material zurückzulassen. Auch bei ihnen war eine Fülle von Stellen zuständig, die mit teils gleichlautenden Aufträgen die eroberten Gebiete durchsuchten. Dazu gehörte zum Beispiel die sogenannte Koval-Gruppe aus dem Volkskommissariat für Schwermaschinenbau, aber auch der NKWD, der zentral für die Nukleartechnik verantwortlich zeichnete. Stalin hatte Geheimdienstchef Lawrenti Be-rija am 20. August 1945 zum Leiter des Atomprogramms ernannt. Die Suchaktion selbst führte wie auf amerikanischer Seite ein General: Awrami Saweniagin. In die Hände des NKWD fielen zunächst jene Teile der deutschen Atomforschung, die nicht nach Westen evakuiert worden
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