Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Junkers-Werken Pläne für Flugzeugturbinen eingesehen hatten. 62 Zudem waren bei Kriegsende im Atlantik deutsche U-Boote mit dem Ziel Japan aufgebracht worden, die Pläne für Raketen und Düsenjäger sowie die dazugehörigen Techniker an Bord hatten. 63 Zwischen 1945 und 1950 wurden in den amerikanischen Geheimoperationen Overcast und Paperclip Tausende deutscher Fachleute in die USA gebracht. 64 Auch die Ende Juni 1945 gemäß alliierter Vorabsprachen aus Mitteldeutschland abziehenden US-Truppen sorgten noch dafür, daß rund 1500 Techniker und Wissenschaftler nach Westen abtransportiert wurden, um nicht für die Sowjets nützlich zu werden. 65 Mitgenommen wurden aus Deutschland schließlich rund einhundert fertige Raketen des Typs V-2, ebenso sogenannte Fliegende Bomben (V-l), die später auch bei den Sowjets die Grundlage für die Entwicklung von Marschflugkörpern (Cruise Missiles) bildeten, eine Unzahl von Einzelteilen und Tonnen von wissenschaftlichen Unterlagen. Alles wurde in die USA geschafft, wo bereits im November 1944 im Rahmen des Hermes- Programms die Auswertung begonnen hatte. Dort befanden sich schließlich 118 Personen aus dem engeren Kreis der deutschen Raketenproduktion. 66
Ein typisches Beispiel für die Vorgehensweise der Amerikaner bei deutschen Experten aus der Raketentechnik war neben dem Fall Wernher von Braun, der am 19. September 1945 in die USA gebracht und dort später mit der weiterentwickelten V-2, der Redstone , zum Vater der amerikanischen Raketenprogramme wurde, der Fall des deutschen Artilleriegenerals Walter Dornberger 67 Aus seiner Karriere erschließt sich noch deutlicher, wie wichtig für die USA die prospektive Erschließung von personellen Ressourcen für den Kalten Krieg war. Dornberger, der bezeichnenderweise erst 1947 ausgeflogen wurde, war ein größeres politisches Problem als von Braun. Er war direkt in die Verbrechen in den Konzentrationslagern verwickelt gewesen. Seine führende Stellung im thüringischen Werk Dora-Mittelbau bei Nordhausen, wo Tausende von Zwangsarbeitern in der Raketenproduktion gestorben waren, wurde in dem Moment nebensächlich, als mit dem offiziellen Beginn des Kalten Krieges 1947 politische Rücksichtnahmen noch deutlicher beiseite geschoben wurden. In den fünfziger Jahren war Dornberger dann führend an der Entwicklung der Interkontinentalraketen (ICBM) beteiligt. Wie gravierend sich dabei auch die öffentliche Meinung änderte, zeigt ein Vergleich. Als man Ende
1946 US-Bürger dazu interviewte, ob man auch «Nazis» rekrutieren solle, um für den Kampf gegen die Sowjetunion gerüstet zu sein, hielt dies über die Hälfte der Befragten für eine «schlechte Idee» 68 Elf Jahre später - auf einem der Höhepunkte des Kalten Krieges, als die Sowjets 1957 mit dem Sputnik den ersten Satelliten ins All geschickt hatten - nahmen allerdings die meisten Amerikaner an, die Sowjets seien deswegen auf dem Gebiet der Raketentechnik weiter, weil sie mehr deutsche Techniker rekrutiert hätten. 69
Wie stark alles bereits von Überlegungen um die zukünftigen Fronten des kommenden Kalten Krieges diktiert war, erschließt sich auch aus den amerikanischen Bemühungen um militärisches Expertenwissen. Wernher von Braun war bereits zwischen Kriegsende und seiner Übersiedlung in die USA im September 1945 die Gelegenheit gegeben worden, seine Vorstellungen über die militärische Verwendung von Raketen in Denkschriften niederzulegen. In den USA präzisierte er dies im April 1946 mit dem Vorschlag, eine Rakete zu entwickeln, die in der Lage sein sollte, einen atomaren Sprengkopf zu tragen (Project Comet). 70 Militärisches Expertenwissen war aber vor allem von den einschlägigen deutschen Militärs abgefragt worden, die insbesondere über den Krieg gegen die UdSSR Auskunft geben sollten. Die Sowjetunion war bei Kriegsende nicht nur für den US-Geheimdienst, sondern eben auch für die militärischen Planungsgruppen unbekanntes Gebiet geblieben. Dies zeigte sich in zum Teil phantastischen Über- und Unterschätzungen der sowjetischen Möglichkeiten. Ironischerweise waren es nicht zuletzt die deutschen Experten, die diese Überschätzungen noch weiter trieben. Befragt wurden Generäle wie Franz Haider, der bis Ende 1941 Generalstabschef des Heeres gewesen war, Erich von Manstein, den man bis zum Frühjahr 1944 als Oberbefehlshaber der 11. Armee ausschließlich in der Sowjetunion verwendet hatte, oder Walter Warlimont, der Stellvertreter des Chefs des
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