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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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waren. Dazu gehörte unter anderem der Versuchsreaktor in Kummersdorf. In Berlin stießen die Sowjets nur noch auf wenige Einrichtungen. Was sie fanden, wurde, wie die Institute für physikalische Chemie und Elektrochemie oder für Biochemie, Chemie und Silikatforschung, komplett eingepackt und in die UdSSR geschickt. Zum Teil waren ihre ehemaligen Leiter gleich dabei. Auch die sowjetischen Zielfahnder sorgten sich, wie ihre amerikanischen Gegenspieler, daß die deutschen Experten zum Gegner überlaufen könnten.
    Wie politisch nachsichtig auch die Sowjets in solchen Fällen sein konnten, belegte zum Beispiel der Fall des Direktors des Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie, Peter Adolf Thiessen. Der Chemiker Thiessen war als Mitglied des Reichsforschungsamts und der Preußischen Akademie der Wissenschaften nicht nur ein klangvoller Name in der Wissenschaftslandschaft des Dritten Reiches gewesen, sondern er war als mehrfach dekorierter «Alter Kämpfer der NSDAP» auch politisch hoch belastet. Ohne Probleme wurde Thiessen jedoch von den Sowjets im Schnelldurchgang entnazifiziert. Dankbar revanchierte er sich dafür, indem er den Kontakt zu anderen einschlägigen deutschen Spezialisten herstellte. Auf seine Fürsprache ging unter anderem die erfolgreiche Rekrutierung des Leiters der Siemens-Forschungs-abteilung, des Physik-Nobelpreisträgers Gustav Hertz, und des Physikers Manfred von Ardenne durch die Sowjets zurück. Andere
    Spezialisten holte man sogar eigens aus den Kriegsgefangenenlagern zurück, so Max Steenbeck, einen Fachmann für Isotopentrennung. In seinen später in der DDR vorgelegten Memoiren berichtete auch Steenbeck über das geradezu verzweifelte Interesse der Sowjets an seinen Forschungen: «Eines Tages kamen zwei sowjetische Offiziere zu mir und fragten, was ich über Atombomben wisse. Die Amerikaner hätten diese über Japan eingesetzt, mehr konnten sie mir nicht sagen. Natürlich kannte ich wie die meisten Physiker damals das Prinzip der Uranspaltung, die Kettenreaktion und die dabei frei werdende Energie, aber keine Details.» 75 Den Sowjets reichte damals diese Antwort schon. Der abgemagerte Physiker wurde unverzüglich besser versorgt und später in die Sowjetunion gebracht, wo auch er in der Kernforschung eingesetzt wurde. Insgesamt etwa einhundert deutsche Physiker, vorwiegend aus der Kernphysik, waren schließlich in der UdSSR versammelt. Nicht alle mußten erst überzeugt oder zwangsweise deportiert werden. Einige, wie Hertz, waren Verfolgte des NS-Regimes gewesen, für andere, etwa für Ardenne, war die Zusammenarbeit mit den Sowjets der Preis, um die eigene Arbeit fortsetzen zu können. Zu jenen, die gegen ihren Willen in die UdSSR verschleppt wurden, zählte Nikolaus Riehl von der «Auer-Gesellschaft» im brandenburgischen Rheinsberg, die für Uranproduktion im Dritten Reich zentral zuständig gewesen war. Riehl wurde zum Aufbau der sowjetischen Uranindustrie in Elelctrostal bei Moskau eingesetzt. Sie griff kurz danach auch auf Vorkommen in der SBZ zurück. Das Uran, das die Sowjets am 29. August 1949 in ihrer ersten Atombombe verwandten, kam dann tatsächlich aus den Stollen der berüchtigten Wismut AG in Thüringen, wo unter anderem Zwangsarbeiter den dringend benötigten Rohstoff abbauten. Technisch kopierten die Sowjets damals die amerikanische Produktionsweise, die, wie Riehl später berichtete, durch einen am 12. August 1945 verbreiteten US-Bericht mit dem Titel Atomic Energy for Military Purposes - den sogenannten «Smyth Report» - den Wissenschaftlern in der UdSSR bekannt wurde. 76 Zusammen mit den Informationen, die den Sowjets durch ihren Spion Klaus Fuchs aus der amerikanischen Forschungsanstalt Los Alamos zugetragen worden waren, waren die entscheidenden Wissenschaftler des sowjetischen «Uran-Projekts» unter der Leitung von Igor Kurtschatow schließlich in der Lage, den Rückstand zu den Amerikanern aufzuholen. Riesige Anlagen
    - wie die «geheimen Städte» Arsamas-16 (Sarow) und Tscheljabinsk-40 (später -65) bei Kyschtym - wurden ab 1946 durch Häftlinge aus dem Boden gestampft. Das Planungsziel, die Bombe zum siebzigsten Geburtstag Stalins am 21. Dezember 1949 fertigzustellen, konnte schließlich sogar übertroffen werden. Am 29. August 1949 wurde die erste sowjetische Atombombe mit dem Namen Tatjana (US-Bezeichnung: Joe-1 ) erfolgreich gezündet.
    Während der deutsche Beitrag zur sowjetischen Atombombe insgesamt eher begrenzt blieb, sah dies in der

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