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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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wichtigste Grundbedingung dafür waren in den meisten am Konflikt direkt beteiligten Staaten der beiden Blöcke die Erfahrungen aus den beiden zurückliegenden Weltkriegen, wobei der letzte das einschneidendste Ereignis darstellte. Diese Einstellung läßt sich anschaulich am Beispiel des geteilten Deutschland nachvollziehen, wo nach 1945 deutlich andere Interessen vorherrschten, als sich auf einen neuen Krieg vorzubereiten. Es waren die Überzeugungskraft der politischen Realitäten des beginnenden Kalten Krieges, der kontinuierliche Druck der sowjetischen wie der westlichen Seite, sich am weltweiten Kampf der Systeme zu beteiligen, sowie persönliche Vorlieben für die eine oder andere Konfliktpartei, die bei vielen die persönliche Entmilitarisierung, die das Ende des Zweiten Weltkriegs hinterlassen hatte, hinfällig machte. 2 Wo aber die eigentlichen Interessen der Deutschen nach dem Krieg lagen, zeigten seit 1948 die zunächst den Westen, dann auch den Osten Deutschlands durchlaufenden Konsumwellen. 3 Sie beruhten zum einen auf der schlichten Beseitigung der Kriegsfolgen. So mußte sich mehr als ein Sechstel der deutschen Bevölkerung in Ost und West als Vertriebene und Ausgebombte vollkommen neu einrichten. Zum anderen war es jedoch ein nachholender Konsum, den der Krieg verhindert hatte. Ähnliches konnte man auch in der UdSSR und selbst in den USA beobachten. 4 Dabei zeigten sich natürlich gravierende Unterschiede. In der Sowjetunion und im nun von der UdSSR beherrschten Ostmitteleuropa stand bereits der Versuch, zum vergleichsweise bescheidenen Standard der Vorkriegszeit zurückzukehren, vor erheblichen Problemen. Insbesondere die mit dem Beginn des Kalten Krieges beginnende Umlenkung der vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen von der Konsumgüter- auf die Schwerindustrie schuf zusätzliche Engpässe für Waren. Bezeichnenderweise war ein wesentlicher Auslöser der Aufstände im Juni 1953 jeweils die Versorgungsfrage. So empörte es die Bürger in der Tschechoslowakei insbesondere, daß ihre wegen des Konsumgütermangels der Vorjahre auf Konten gesammelten Guthaben nun mittels einer Währungsumstellung vom Staat abgeschöpft wurden. In der DDR war es nicht nur so, daß der kontinuierliche Strom von Übersiedlern in den Westen auch der miserablen Versorgungslage geschuldet war, sondern der Mangel wurde während des Aufstands vom 17. Juni ganz ausdrücklich thematisiert. Selbst in den USA blieb die Rückkehr zum aus Friedenszeiten gewohnten Konsum zunächst nicht ohne Probleme. Zurückkommende Soldaten fanden als Folge des Zweiten Weltkriegs und der Umstellung auf die Friedenswirtschaft ab 1945 zunächst Wohnungsnot und sogar Versorgungsschwierigkeiten vor.
    Während diese Reconversation genannte Umstellung in den USA insgesamt sehr rasch vor sich ging und der private Konsum in der Überflußgesellschaft (People ofPlenty), wie sie nun genannt wurde, massiv wuchs, konnte anderswo erst viel später eine gewisse ökonomische Normalität erreicht werden. In der UdSSR setzte eine spürbare Verbesserung der Versorgung erst in der Chruschtschow-Ära ab Ende 1953 ein. Erst jetzt holte der Konsum allmählich auf. Die einsetzende «Freßwelle» war mit der im Westen durchaus vergleichbar und hielt sogar länger an. Der Schweinefleischkonsum wurde blockübergreifend zum Richtwert der erreichten Normalität. In der Bundesrepublik stieg er in den Fünfzigern um 41 Prozent, in der DDR - trotz Lebensmittelkarten - um 30 Prozent. In der Sowjetunion steigerte er sich zwischen 1950 und 1965 um fast 80 Prozent. 5 Gleichzeitig wurde in allen diesen Ländern jede Krise als mögliche Bedrohung der erreichten Normalisierung empfün-den. Dies betraf ausdrücklich nicht nur den Westen, sondern in noch vielleicht stärkerem Maße die UdSSR selbst. Chruschtschows Sturz 1964 jedenfalls hing eng mit der sowjetischen Nahrungsmittelkrise des Jahres 1963 zusammen.
    Blickt man auf die durch die Atomwaffen symbolisierte größte Bedrohung des Kalten Krieges, so ist selbst hier zu konstatieren, daß die Mehrheit in Ost und West versuchte, sie zu ignorieren oder als alltägliche Normalität hinzunehmen. Dies galt insbesondere auch für die Bundesrepublik und die DDR, auf deren Territorium im Verlauf des Konflikts nicht nur die höchste Dichte an Nuklearwaffen aufgebaut wurde, sondern das auch das zentrale Schlachtfeld des Dritten Weltkriegs gewesen wäre. Man geht davon aus, daß in den achtziger Jahren in Europa rund 6200 Atomwaffenträger

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