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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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Krieges im Jahr 2000 freigegebenen Mitteilungen der US-Luftwaffe an die Internationale Atomenergiebehörde machten deutlich, daß eine Bombe mit der Kennziffer 78 252 durch das Eis auf den Meeresboden gedrückt worden war und nicht geborgen werden konnte. 60 Auch in diesem Fall wurden vor allem die Bergungstrupps verstrahlt. Der Zwischenfall in Thule, der insgesamt der zehnte Unfall mit einem SAC-Bomber in nur elf Jahren gewesen war, wurde zum Anfang vom Ende der US-Strategie, eine kernwaffenbestückte Bomberflotte 24 Stunden täglich in der Luft zu halten. Notwendig war dies aufgrund der Raketenentwicklung ohnehin nicht mehr. Doch auch in den achtziger Jahren wurde noch etwa ein Viertel der SAC-Bomberflotte auf dem Boden in Alarmbereitschaft gehalten.
    Dadurch, daß die sowjetischen Nuklearstreitkräfte weitaus weniger Bomber unterhielten, betrafen die größten bekanntgewordenen militärischen Unfälle der UdSSR in den fünfziger und sechziger Jahren vor allem Raketen und U-Boote. Nichtsdestoweniger wurden wohl mindestens 39 Atomsprengsätze von Bombern verloren. Der größte bekanntgewordene Zwischenfall mit einer ICBM ereignete sich am 24. Oktober 1960, als ein Prototyp der neuentwickelten R-16 in Baikonur explodierte. Bei diesem gravierenden Unfall, der vor allem auf die allgemein anzutreffende Hektik bei der Bereitstellung dieses Typs zurückzuführen war, waren insgesamt 74 Menschen getötet worden, wie nach 1991 offiziell bestätigt wurde. Unter den Opfern befanden sich nicht nur zunächst unersetzliche Raketenspezialisten, sondern auch der Chef der Strategischen Raketentruppen, Marschall Mitrofan Nedelin. Entsprechend entsetzt war damals die Reaktion des Kreml ausgefallen. Ungewöhnlich war der Vorfall indes nicht gewesen. Einen ähnlichen Unfall hatte es 1980 auch in den USA gegeben, als ein Sprengkopf einer Titan-II-Rakete mit neun Megatonnen während eines Brands aus dem Silo geschleudert wurde und 54 Menschen tötete. Ansonsten waren es vor allem die Unfälle auf sowjetischen U-Booten mit Nuklearantrieb, die besonders dramatisch verliefen. 61 Der erste bekanntgewordene ereignete sich am 4. Juli 1961 auf dem sowjetischen U-Boot K-19. Sechs weitere Zwischenfälle ereigneten sich in den sechziger, 15 in den siebziger und 17 in den achtziger Jahren. Spektakuläre Totalverluste waren der Untergang des U-Boots K-8, das am 12. April 1970 vor Spanien sank, der K-219, das am 3. Oktober 1986 im gleichen Seegebiet verschwand, und eines U-Bootes der im Westen sogenannten Mike-Klasse, das am 7. April 1989 bei Norwegen unterging. Insgesamt wird davon ausgegangen, daß allein die sowjetische U-Boot-Flotte im Kalten Krieg 17 Atomreaktoren und 38 Atomraketen verlor. Das vor Spanien 1986 verlorene Boot K-219 hatte allein 16 SS-N-6 mit jeweils einer Megatonne Sprengkraft an Bord. Aber auch die US-Marine verlor U-Boote: Besonders spektakulär waren die Verluste der USS Tresher 1963 mit 129 und der USS Scorpion 1968 mit insgesamt 99 Toten.
    Parallel dazu ereigneten sich während des gesamten Kalten Krieges auf beiden Seiten permanent Unfälle in den Produktionsanlagen für Atomwaffen, die in der UdSSR allerdings jeweils weitaus größere Verwüstungen anrichteten. In den USA brannte 1957 die sechs Jahre zuvor errichtete Fabrik für Plutoniumzünder in Rocky Fiats im Bundesstaat Colorado und verstrahlte die Umgebung erheblich. Die Kernwaffenproduktion fiel damals für etwa ein halbes Jahr aus. Im selben Jahr explodierte im sowjetischen Kernwaffenkomplex Tscheljabinsk-40 bei Kyschtym im Ural, das nun Tscheljabinsk-65 hieß, ein Lager für hochradioaktive Abfälle aus der Plutoniumproduktion. 62 Rund 23 000 Quadratkilometer mit einer Viertelmillion Menschen wurden damals verstrahlt. Man weiß mittlerweile, daß bei diesem größten jemals bekanntgewordenen militärischen Atomunfall mindestens zwanzig Millionen Curie freigesetzt wurden. Zum Vergleich: Als 1986 einer der zivil genutzten Atomreaktoren in Tschernobyl explodierte, wurde etwa ein Zwanzigstel dieser Strahlenbelastung (1,22 Millionen Curie) in der Umwelt verteilt. 63
    Die Unfälle, die zum Teil auf krasses menschliches Versagen zurückzuführen waren, blieben die eine Seite. Wesentlich besorgniserregender waren Probleme, die die automatisierten Reaktionen der Frühwarnsysteme verursachten. 64 Gerade in Krisenzeiten - so auf dem Höhepunkt der Eskalation um die sowjetische Raketenstationierung auf Kuba 1962 - häuften sich Fehler. So wurde am 26. Oktober um vier Uhr

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