Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
überhaupt überleben würde, stand lange Zeit in Frage. Erst Anfang der achtziger Jahre ließ sich dies mit Versuchen, in denen eine Fragmentierung des ARPANET durch einen massiven
Atomschlag simuliert wurde, belegen. Es konnte gezeigt werden, daß nicht nur die überlebenden Router in der Lage waren, ausfallende Zentralrechner zu überbrücken, sondern es gelang sogar, diese Verbindungen über eine in der Luft befindliche SAC-Kommu-nikationszentrale aufrechtzuerhalten. In der Endphase des Kalten Krieges verschwand 1990 dann fast schlagartig auch das ARPANET. Noch im selben Jahr etablierte sich der erste kommerzielle zivile Anbieter.
Die Sicherheitsphilosophie des Kalten Krieges setzte in beiden Blöcken auf technische Perfektion und Präzision. 56 Wenn man die Sicherheit und schließlich auch die Entscheidung zum Nuklearkrieg ab einem gewissen Punkt den Maschinen überließ, mußten diese fehlerlos arbeiten. Sie taten es allerdings niemals. Es ist wohl mehr als ein Zufall, daß «Murphys Gesetz», der mittlerweile weltweit bekannte und heute häufig ironisch verwendete Grundsatz, daß etwas schiefgehe, wenn nur eine Möglichkeit dazu bestehe, als Ergebnis einer Untersuchung zu militärischen Unfällen mit Raketen im Jahr 1947 entstand. 57 Wenig drang während des Kalten Krieges daher über die kontinuierlich auftretenden Pannen an die Öffentlichkeit. Die Umweltorganisation Greenpeace schätzte im Jahr 2005, daß während des Kalten Krieges rund 1200 schwere nukleare Unglücksfälle zu verzeichnen waren - Verluste von Sprengsätzen, Havarien jeglicher Art, Katastrophen mit Flugzeugen, Schiffen, U-Booten, Raketen, Satelliten und Atomanlagen. 58 Andere Quellen, wie das Bulletin ofthe Atomic Scientists, gaben weitaus höhere Zahlen an. 59 Zur Kategorisierung solcher Zwischenfalle entwickelte das Militär nach 1945 sogar eine eigene Sprachregelung. Seine Begriffe fanden auch in die wissenschaftliche Literatur Eingang. Der Begriff Broken Arrow umschrieb einen unerwarteten nuklearen Vorfall, in dessen Folge kein Nuklearkrieg zu erwarten stand. Bent Spear wurde zum Kennwort für einen Unfall, der zu einem atomaren Schlagabtausch fuhren könnte. Die Begriffe Faded Giant und Dull Sword umschrieben unkontrollierte Kernreaktionen und sonstige Unfälle ohne die direkte Beteiligung von Atomwaffen. Jede einzelne dieser Kategorien wurde während des Kalten Krieges immer wieder erreicht.
Auch wenn man heute mehr weiß, bleibt vieles unbekannt. Die spektakulärsten militärischen Unfälle im engeren Sinn ereigneten sich auf beiden Seiten vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren. Aber auch sie wurden zum Teil erst nach 1991 ein öffentliches Thema. Dabei stand in den USA besonders häufig die SAC-Bomberflotte im Mittelpunkt, die sich bis 1968 noch in 24-stündigem Dauereinsatz befand und ein entsprechend hohes Unfallrisiko hatte. Hier kam es zu insgesamt sechs Zwischenfällen der Kategorie Broken Arrow, die bei Bekanntwerden manche an Szenen aus Stanley Kubricks Atomkriegssatire Dr Strangelove erinnerten. Nachdem bereits 1956 bis 1961 regelmäßig und spektakulär Nuklearsprengsätze bei Einsätzen über den USA (Kirtland, Floren-ce, Goldsboro) und in einem Fall über Großbritannien (Laken-heath) verlorengegangen waren und jeweils nur mit viel Glück durch die Sicherungen eine atomare Katastrophe verhindert werden konnte, ereigneten sich 1966 und 1968 zwei der gravierendsten Vorfälle. Im spanischen Ort Palomares kollidierte am ^.Januar 1966 einer der im Dauereinsatz befindlichen B-52-Bomber beim Auftanken in der Luft mit dem begleitenden Tankflugzeug, wobei drei an Bord befindliche Bomben auf die Erde schlugen und eine im Mittelmeer versank. Über 1700 Tonnen radioaktiv verseuchtes Erdreich mußten abgetragen, eine der Bomben, mit rund 1,45 Megatonnen Sprengkraft, konnte mit einem Spezialgerät aus 869 Meter Tiefe im Mittelmeer geborgen werden. In den Details ungeklärt blieb auch der Absturz einer weiteren B-52, fast auf den Tag genau zwei Jahre später. Am 21. Januar 1968 stürzte der Bomber brennend auf die amerikanische Thule Air Force Base (Qaanaaq) auf Grönland, eine der amerikanischen Frühwarnsta-tionen. Was mit den vier Wasserstoffbomben geschah, blieb diesmal amerikanisches Staatsgeheimnis, zumal sich auf Grönland, laut Absprache mit den Dänen, überhaupt keine Atomwaffen befinden durften. Offiziell galten alle vier H-Bomben durch Aufschlag und Brand als zerstört. Erst die lange nach dem Ende des Kalten
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