Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
hätte sie das nie zugegeben. »Sprechen wir über den Kapetan.«
    »Gern. Darf ich raten? Sie haben nichts herausgefunden.«
    »Ja«, gab sie zu.
    »Kein Wunder, wenn selbst die Armee nichts findet.«
    »Ich bin nicht davon überzeugt, dass sie etwas finden will .«
    »Sie tun uns Unrecht.«
    Die nächste Lüge.
    Laut dem Jahresbericht 2010 von Amnesty International und dem Fortschrittsbericht der EU -Kommission zu Kroatien kooperierte Zagreb noch immer nicht uneingeschränkt mit dem Haager Tribunal. Während des Krieges von kroatischen Soldaten und Polizisten an Serben verübte Verbrechen wurden nur in Einzelfällen aufgeklärt und geahndet. Der UN -Menschenrechtsrat hatte den kroatischen Behörden 2009 eine Frist von einem Jahr eingeräumt, um das zu ändern. Zahlreiche von Den Haag angeforderte Militärdokumente zur Operation »Sturm« wurden nicht übergeben. Journalisten, die über Kriegsverbrechen berichteten, erhielten keinen ausreichenden Schutz durch die Regierung. Auch der ungeklärte Mord am Tribunal-Zeugen Milan Levar im Jahr 2000 und der mangelnde offizielle Wille zur Untersuchung des Falles wurden in dem ai-Bericht erwähnt.
    Sie wählte ihre Worte vorsichtig. »Vielleicht wollen Sie keine weiteren Artikel über kroatische Kriegsverbrechen, solange der Prozess gegen Gotovina läuft?«
    Marković blieb stehen. Seine Stirn lag in Falten, sein Blick wirkte verletzt. Sanft sagte er: »Selbst wenn Ihr Kapetan ein Verbrechen begangen haben sollte, könnte man doch nicht General Gotovina dafür verantwortlich machen.«
    »Jemand muss für die Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb wurde Gotovina angeklagt. Nicht weil er selbst Dörfer zerbombt, Häuser niedergebrannt und Zivilisten ermordet hätte, sondern weil es unter seinem Oberkommando geschehen ist.«
    Sie nahmen den Spaziergang wieder auf.
    Marković sprach über Gerechtigkeit. Ein Volk werde angegriffen und dürfe sich nicht wehren? Sei das gerecht? Fragen, wie sie in Kroatien oft gestellt würden. Viele Menschen verstünden nicht, weshalb die Generäle, die den Krieg für Kroatien gewonnen hätten, in Haft säßen.
    Natürlich dürfe man sich wehren, sagte Ahrens. Doch auch im Krieg habe man sich an Regeln zu halten. Und Gotovinas Armee habe während der Operation »Sturm« gegen diese Regeln verstoßen. Man könne nicht die Verbrechen der Serben ahnden und die von Kroaten und Bosniaken ignorieren.
    »Und Ihr Kapetan …«, begann Marković.
    »Nicht meiner – Ihrer . Ein Kapetan der kroatischen Armee.«
    Lächelnd berührte er ihren Arm, eine Geste, die ihr mittlerweile fast selbstverständlich vorkam. »Sie glauben, dass er Kriegsverbrechen begangen hat?«
    »Zumindest legt das Foto diese Möglichkeit nahe.«
    »Ein Foto, auf dem ein wütender Mann einem anderen Mann eine Pistole an den Kopf hält …«
    »… mit der Bildunterschrift: ›Ein serbischer Schlächter zittert vor der gerechten Strafe durch den jungen Kapetan.‹«
    »Auch das ist doch kein Beweis, meine Liebe.«
    »Ja, die Beweise fehlen leider noch.«
    »Sie sind eine mutige Frau, gospođo Ahrens. Das gefällt mir. Aber vielleicht haben Sie sich in Bezug auf diesen Kapetan ein wenig verrannt? Wir haben Dutzende Soldaten von damals befragt und keinen Hinweis auf seine Identität erhalten. Ein Soldat von vielen im Vaterländischen Krieg. Vielleicht hat es ihn ja nie gegeben, wer weiß? Vielleicht ist er ein Mythos? Im Krieg werden die merkwürdigsten Dinge erzählt.«
    »Und die merkwürdigsten Fotos gemacht?«
    Marković lachte erneut.
    »Haben Sie mit dem Autor des Artikels gesprochen?«
    »Wir konnten ihn noch nicht identifizieren«, sagte er.
    »Und der Serbe auf dem Foto?«
    »Ein alter Mann schon damals, vor fünfzehn Jahren. Er wird kaum noch am Leben sein. Und wissen wir, ob er nach der Flucht aus der Krajina je nach Kroatien zurückgekehrt ist?«
    »Sie gehen davon aus, dass er den Tag, an dem das Foto aufgenommen wurde, überlebt hat?«
    »Natürlich! Ein alter Zivilist – wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, ihn zu töten?«
    Sie traten in den unbeleuchteten Durchgang des Steinernen Tors. Rechter Hand, noch vor der Biegung, brannten in einem Behältnis drei Opferkerzen, zur Linken funkelten Lichtreflexe auf den Gitterstäben, die das Marienbild schützten.
    »Sie kennen die Legende?«, fragte Marković.
    »Ja.«
    1731 waren die Nachbarhäuser und die hölzernen Bestandteile des Wehrturms abgebrannt. Nur das Bild der Maria mit dem Jesuskind

Weitere Kostenlose Bücher