Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
freigab. Zwischen den hellblauen Säumen schimmerte die Brust. So hatte er ihn noch nie gesehen, halbnackt und … verwundbar.
    Er rieb sich die stechende Lendenwirbelsäule, trat langsam zur Brüstung und sah auf die nächtlich leere Straße hinunter. Der Wind fuhr ihm kalt über die Kopfhaut, Regentropfen krochen über die kahlen Stellen.
    Der Onkel hatte ihn belogen, verarschte er ihn auch?
    Ein einsamer, verbitterter Exdiplomat, der keine Macht mehr hatte, keine Aufgaben im Leben, keine Hobbys, keine Freunde, keine Familie, abgesehen von einem Neffen, an dem er fast dreißig Jahre lang kein Interesse gezeigt hatte. Hatte er einen kleinen, technisch veralteten Sender in sein Telefon montiert, um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu bekommen?
    Adamek wandte sich um, sie starrten einander an.
    »Red endlich, Richard.«
    »Nicht in diesem Ton!«
    »Was erwartest du? Du hast mich belogen!«
    »Dich belogen? Das wird ja immer schöner.«
    »Ich hab dich im Rhinluch gefragt, ob es weitere Anhaltspunkte gibt, und du hast Nein gesagt. Wenn das mal keine Lüge war.«
    Ehringer blinzelte, vielleicht das Regenwasser, vielleicht der Zorn. »Drück dich präzise aus«, erwiderte er, »und du erfährst, was du wissen willst. Das solltest du bei der Kripo eigentlich gelernt haben.«
    »Ach, Bullshit.«
    »Werd nicht unverschämt, Lorenz!«
    »Hast du dich damals strafbar gemacht?«
    Ehringer riss die Augen auf, die hohlen Wangen röteten sich.
    »Ich muss das wissen, Richard.«
    »Raus.« Ehringer deutete in Richtung Wohnzimmer.
    »Nicht bevor du …«
    »Raus!«
    Adamek zuckte die Achseln. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück und verriegelte die Tür von innen. Im Schein der Balkonbeleuchtung sah er, dass Ehringer die Bremsen löste und den Rollstuhl wendete. Die wenigen verbliebenen Haare klebten ihm nass am Schädel, der Morgenmantel war an den Schultern und den Armen dunkel vom Regen. Wütend starrte er herein.
    Adamek setzte sich aufs Sofa.
    Wartete.
    Auf einem Teakholz-Sideboard gegenüber standen gerahmte Fotos, nur eines war auch aus der Distanz gut zu erkennen, ein Porträt Margarets. Eine ungewöhnliche Aufnahme von ihr. Sie wirkte nicht selbstbewusst und zielstrebig wie auf allen anderen, die er in Zeitungen und im Internet gesehen hatte, sondern sanft und beinahe verletzlich. Die Sonnenbrille ins kurze Haar geschoben, hinter ihr ein blauer Himmel, das Sommerkleid dasselbe wie auf dem Foto vom Flughafen, auf dem Weg nach Andalusien.
    Er verstand, weshalb die Medien aus den beiden ein Polittraumpaar gemacht hatten.
    Und was war geblieben? Das Foto einer schönen Frau, dünne weiße Beine, die sich ohne Rollstuhl nicht mehr fortbewegen konnten.
    Adamek rieb sich die Augen und begann den stummen Countdown seiner Kapitulation.
    Bei fünf barst das Glas der Balkontür, eine Splitterfontäne flog in den Raum, fluchend sprang er hoch. Der Rollstuhl schoss an ihm vorbei ins Zimmer, prallte seitlich gegen den Schreibtisch, kam zum Stehen.
    Zitternd senkte der Onkel die vor dem Kopf emporgereckten Arme und flüsterte: »Du verdammter Hurensohn!«
    Schnittwunden an Knien und Schienbeinen, Händen und Unterarmen, Blutspritzer auf dem Morgenmantel, im Gesicht, eine entsetzte Nachtschwester, ein aufgewühlter Adamek. Nur der Onkel wirkte ruhig. »Nicht so schlimm«, murmelte er.
    Die Wunden nicht, dachte Adamek. Die Vorstellung, dass sich ein Sechsundsechzigjähriger im Rollstuhl durch eine Türscheibe katapultierte, schon.
    Sie befanden sich in der Krankenstation des Heims, Ehringer saß in einem weißen Kittel auf der Behandlungsliege. Die Wunden waren gesäubert und desinfiziert. Die Schwester, eine junge, müde Sächsin mit rot gefärbten Haaren, griff nach Mull und Verband.
    »Ich mache das«, sagte Adamek. »Lassen Sie uns allein.«
    »Das geht nicht.«
    Er hielt ihr den Dienstausweis hin. »Es geht.«
    »Dann passen Sie aber auch auf, dass ihm nicht wieder eine Tür drauffällt, ja?« Sie verließ den Raum.
    Adamek seufzte. Sie hatten ihr erzählt, ein Windzug habe die Balkontür zugeworfen.
    »Kannst du das wirklich, oder ist es irgendeine perfide Art der Folter?«, fragte Ehringer.
    »Wehrdienst bei den Sanitätern.« Adamek setzte sich vor den Onkel, langte mit zittrigen Händen nach dem Verband. »In Rottweil fragen zwei Kroaten nach Ćavar.«
    »So?«
    »Scheint dich nicht zu überraschen.«
    »Nein.«
    Immerhin, Ehringer wirkte friedlich, wenn auch erschöpft. Und fast ein wenig stolz – Richard

Weitere Kostenlose Bücher