Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Ehringer, bald siebzig, seit vielen Jahren an den Rollstuhl gefesselt und doch auf seine Weise unbezwingbar.
»Nicht so fest, bitte.«
Adamek lockerte den Verband ein wenig, wickelte weiter Stoff um den kräftigen Unterarm, während Ehringer von einem Telefonat am selben Abend mit einem Jugendfreund Thomas Ćavars erzählte.
»Wie bitte? Geheimdienst oder Militär?«
»Nur meine Interpretation.«
»Würde die Wanze erklären.« Adamek durchtrennte den Stoff längs auf ein paar Zentimetern und verknotete die Enden.
Sie wandten sich dem anderen Arm zu.
»Woher kommt dein plötzliches Interesse an Ćavar?«
»Ich habe vor einer Woche einen Anruf von einem Bekannten von früher bekommen, Ivica Marković. Ein Vertrauter Tuđmans, war jahrelang in Deutschland, hat in Bonn für die Unabhängigkeit Kroatiens geworben. Der Verfassungsschutz hat ihn damals überprüft, weil er enge Kontakte zu nationalistischen Exilantenorganisationen hatte. Anfang der Neunziger ist er nach Kroatien zurück, wie viele Emigranten. Hat in Zagreb unter Perković die kroatischen Geheimdienste koordiniert. Inzwischen hat er einen unauffälligen Job im Verteidigungsministerium, aber im Hintergrund zieht er noch immer die Strippen.«
»Klingt nach einem eher unangenehmen Menschen.«
»Nein, sehr charmant«, sagte Ehringer. »Aber skrupellos.«
Und offensichtlich unantastbar. Einer der wenigen Tuđman-Getreuen, die noch immer im Machtzentrum säßen. Die politische Wende, die Untersuchungen der Tuđman-Zeit durch das Haager Tribunal, die Demokratisierung der Gesellschaft hätten ihm nichts anhaben können.
Adamek nickte. Er wusste nicht viel über Kroatien und diesen dummen, grauenhaften Krieg. Das Haager Tribunal hatte nicht nur Serben, sondern auch Kroaten im Visier? Soso.
Die Finger waren verbunden, der Unterarm an der Reihe. Adamek entfernte blutgetränkten Mull, desinfizierte erneut, brachte frischen Mull auf. Die Schnitte an diesem Arm waren tiefer.
Nein, er wusste so gut wie nichts. Es hatte einen Krieg gegeben. Einen Kroaten namens Tuđman mit Kassenbrillengestell, den man als flüchtiger Zeitungsleser erst positiv dargestellt bekommen hatte, später war irgendwie der Lack ab gewesen – warum, hatte man nicht mitgeteilt bekommen oder vergessen. Dann hatte es einen Serben mit teigigem Gesicht namens Milošević gegeben, der war ein Schlächter gewesen und geblieben, genau wie seine beiden Komplizen: der verrückte Psychiater mit der weißen Haartolle und der verkniffene General mit der Armeekappe. Außerdem hatte es einen Bosnier gegeben, einen kränklich aussehenden alten Muslim, dessen Volk die Serben vertrieben hatten.
An mehr erinnerte er sich nicht.
»Und dieser Marković hat sich nach Ćavar erkundigt?«
»Er wollte wissen, was aus ihm geworden ist, und ihm posthum einen Orden verleihen. Ich fand das … nun ja, etwas merkwürdig. Bitte nicht so fest , Lorenz.«
»Tut mir leid.«
»Jedenfalls habe ich mich deshalb an dich gewandt. Hätte ja sein können, dass du etwas findest.«
»Etwas, das Marković’ Interesse erklärt?«
Ehringer nickte.
»Und wer ist dieser Perka…«
»Perković. Du solltest von ihm gehört haben, er steht auf eueren Fahndungslisten. Das BKA sucht ihn mit internationalem Haftbefehl. Er war Mitglied des jugoslawischen Geheimdienstes und angeblich in die Morde an zwei Exilkroaten 1977 und 1983 in Deutschland durch die UDBA involviert.«
»Morde an Kroaten? Und dann hat er in den Neunzigern den kroatischen Geheimdienst geleitet? Erklär mir das.«
Ehringer lachte. »Mein Lieber, so ist nun mal die Politik, undurchsichtig, komplex, voller Cäsaren und Bruti, faszinierend, aber manchmal auch gefährlich. Perković hat die kroatische Abteilung des UDBA geleitet und dafür gesorgt, dass Tuđman 1987 wieder einen Pass bekam, als erster Oppositioneller überhaupt, soweit ich weiß. Entsprechend hoch stand er bei ihm im Kurs, er war seit 1991 dritter Mann im Staat nach Tuđman und dem Verteidigungsminister, Šušak, der aus dem kanadischen Exil gekommen war. Man sagt, dass der kroatische UDBA -Zweig hinter den radikalen kroatischen Exilorganisationen stand, was einiges erklären würde.« Er zuckte die Achseln. »Perković’ Sohn hat übrigens als Sicherheitsberater des vorigen und des jetzigen Staatspräsidenten Karriere gemacht.«
»Man sollte eben nicht vom Vater auf den Sohn schließen.«
»Oder vom Onkel auf den Neffen.«
Sie lachten leise.
»Und der Sohn weiß natürlich nicht, wo der
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