Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
erkläre ich es Ihnen«, sagte Adamek.
Bevor er fortfahren konnte, wurde die Küchentür geöffnet. Der Geruch nach gebratenem Fleisch zog in die Stube, der Polizistenvetter erschien. »Noch zehn Minuten.«
Niemand antwortete. Die Tür schloss sich wieder.
Theresa Bachmeier ballte die Faust um das Taschentuch. »Wo ist mein Kind?«
»Sie wollte in den Stall, zu den Kühen«, erwiderte Schneider.
»Weil es gleich Essen gibt. Sie muss sich die Hände waschen.«
»Soll ich sie holen?«
Theresa Bachmeier nickte. Dann suchte ihr Blick Adamek.
Er wartete, bis Schneider gegangen war.
»Zwei Kroaten haben Ihren Mann entführt. Sie kennen ihn nicht, er interessiert sie nicht. Sie wollen von ihm nur wissen, wo Thomas Ćavar – Tadeusz – ist. Offenbar haben sie eine alte Rechnung mit ihm zu begleichen. Einen der beiden haben Sie schon einmal gesehen.«
»Der von Samstag?«
Ein unheimlicher Kerl, hatte sie gesagt. Wie er da gestanden ist, am Baum, und nur geschaut hat …
»Dann ist er gar nicht wegen Arbeit gekommen? Mein Mann hat gelogen?«
»Er wollte nicht, dass Sie sich ängstigen.«
Sie blickte auf das Taschentuch hinab, faltete eine saubere Stelle nach oben und drückte es sich wieder an den Hals. »Will er den Kroaten denn nicht sagen, wo sein Freund wohnt?«
»Wahrscheinlich. Sonst hätten sie ihn nicht entführt.«
»Er muss ihm sehr am Herzen liegen.«
»Ja.«
Plötzlich schluchzte sie auf, hob das blutverschmierte Taschentuch und presste das Gesicht hinein.
Minutenlang weinte sie stumm, Adamek störte sie nicht.
Schließlich schneuzte sie sich. »Sie haben mir gesagt, dass sie sich von einer landwirtschaftlichen Ausstellung in Stuttgart kennen. Stimmt das?«
»Nein. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit, sie sind in dieselbe Schule gegangen.«
»Nur Lügen«, sagte Theresa Bachmeier bitter.
»Ihr Mann hatte gute Gründe.«
»Die Kroaten?«
Adamek nickte.
Unvermittelt stand sie auf, nahm eine Tischdecke aus einer Vitrine, entfaltete sie. »Sie wollen wirklich nicht mitessen?«
»Nein, danke.«
Er half, die Decke geradezuziehen.
Sie holte drei Teller und Gläser aus der Vitrine, dem einzigen Bauernmöbel in der Stube. Alles andere sah nach Ikea aus, Kiefernholz oder weiß und nur wenige Jahre alt. Überall im Raum standen kleine Cola-Flaschen mit Wiesenblumen und Gräsern, auf dem Boden lagen Kinderbücher, über einem Stoffsofa hing ein riesiger Flachbildfernseher an der Wand.
»Erinnern Sie sich, wann Tadeusz hier war? Thomas?«
Theresa Bachmeier legte Besteck neben die Teller. Sie zitterte und hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Das weiß ich nicht mehr … Ich hab kein so gutes Gedächtnis.«
Adamek ließ sich die Servietten reichen. »Wann haben Sie geheiratet?«
»Wann wir geheiratet haben?«
Er nickte.
»Na, am 3. März 1998.« Sie hielt inne, ihre Augen wurden groß. »Stimmt, da kam er zum ersten Mal, zwei Wochen nach der Hochzeit, wie wir vom Bodensee zurück waren. Das ist sie also, hat er gesagt, die Frau vom Mägges.«
»Weiter. Wann noch?«
Sie legte den Kopf schräg, schien nachzudenken.
»Nach der Geburt Ihrer Tochter?«
»Ja! Ein paar Monate danach, im Sommer 1999. Hat sie auf dem Arm gehalten, dann ist er mit dem Mägges raus zur Ernte, einen ganzen Tag war er da.«
Adamek nickte. »Denken Sie an wichtige Ereignisse. Jahrestage, Todesfälle, Firmung …«
Sie unterbrach ihn aufgeregt. »Einmal war der Mägges in Stuttgart im Krankenhaus, Darmkrebs, aber der Krebs war klein, und sie konnten alles entfernen. Im November 2003 war das, da hab ich ihn im Krankenhaus getroffen, seinen Freund Tadeusz, Thomas. Und als die Mutter vom Mägges gestorben ist, am 29. September 2006, ist er eine Woche nach der Beerdigung zum Abendessen gekommen, und dann war er später noch mal da, aber ich weiß nicht mehr, wann.«
»Sehen Sie, Sie haben doch ein gutes Gedächtnis.«
»Bloß mit Zahlen. Zahlen und Gesichter kann ich mir gut merken, aber mehr nicht.«
»Zahlen und Gesichter sind das Wichtigste«, sagte Adamek. »Ist Thomas allein gekommen?«
»Ja.«
»Mit dem Auto?«
»Nein. Der Mägges hat ihn immer irgendwo abgeholt. Was ich nicht verstehe … Wir kennen Leute, die Ćavar heißen.«
»Milo und seine Familie?«
Sie nickte.
»Milo und Thomas sind Brüder.«
»So? Aber sie haben nie von ihm gesprochen.«
»Weil alle glauben sollten, dass er tot ist.«
»Wegen den Kroaten?«
»Vermutlich, ja. Kennen Sie …«
»Aber er ist nicht tot.«
»Nein. Kennen Sie
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