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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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hatten. Ein wenig mehr Licht fiel in den Hohlraum. Rasch glitt Igor ins Freie. Ein Rascheln, ein Knarzen, als er die Bohlen wieder einsetzte, dann war die Dunkelheit zurückgekehrt.
    Im selben Moment nahm Jordan Geräusche vom Wohnhaus wahr. Die Tür war geöffnet worden.
    »Hörst du, Nina?«, rief eine aufgeregte Frauenstimme aus dem Inneren.
    »Ja-ha«, erwiderte ein Mädchen.
    Die Mutter, die Tochter.
    Ein hohes Summen erklang und näherte sich. Die Melodie kam Jordan bekannt vor. Ein Kinderlied, »Ich geh mit meiner Laterne«. Er hatte es vor über dreißig Jahren in Briševo von seiner Großmutter gelernt.
    Die Stimme des Mädchens machte ein langsames, trauriges Lied daraus.
    Auch Bachmeier hatte den Gesang bemerkt. Röchelnd bewegte er sich, soweit ihm das mit Hand- und Fußfesseln möglich war.
    Jordan setzte ihm die Messerspitze an den Hals. »Ruhig, tapferer, dummer Mägges«, flüsterte er.
    Über sich hörte er die eiligen Schritte Igors, der die Leiter zum Heuboden hinaufhastete. Dann sprang die Stallbeleuchtung an, und über die Bodenplanken tanzten kleine Füße.

28
    DONNERSTAG, 14. OKTOBER 2010
    NAHE ROTTWEIL
    Keine Lügen diesmal, keine Formeln. Theresa Bachmeier war erst 1997 nach Rottweil gekommen und kannte Thomas Ćavar nicht, und Adamek glaubte ihr.
    Doch vielleicht kannte sie jemand anderen.
    Milo, der Bruder. Jelena, die große Liebe. Markus Bachmeier, der Jugendfreund. Menschen, die füreinander eingestanden waren und das – wie Milo – noch immer taten. Jelena hatte Deutschland vor Jahren verlassen, aber Milo und Markus waren in Rottweil geblieben, wie der Vater.
    Nichts leichter, als sie heimlich zu besuchen.
    Falls man noch lebte, natürlich.
    »Haben wir ein Foto?«, fragte er.
    Schneider nickte und öffnete den Aktenhefter.
    Wieder saßen sie in einem Wohnzimmer, wieder brachten sie nichts als Unruhe und Angst.
    Adamek kannte es nicht anders.
    Er war der Bote, der von der Zerstörung berichtete und damit selbst zerstörte. Wenn er kam, öffnete sich der Abgrund, wenn er ging, war nichts mehr wie vorher. Er bewegte sich im Kielwasser der Verheerung, klebte an Mördern, Vergewaltigern, Entführern, war der brave Zwilling der Misslungenen.
    Saß wie heute an Wohnzimmertischen und sah zu, wie Menschen zerfielen.
    »Ja«, sagte Theresa Bachmeier, als das Foto von Thomas Ćavar vor ihr auf dem Esstisch lag. »Er war ein paar Mal hier. Aber er heißt nicht Thomas, sondern Tadeusz, und er ist kein Kroate, sondern Pole. Jedenfalls haben sie das gesagt.«
    Adamek schob das Foto näher zu ihr. »Sind Sie sicher?«
    »Er saß da, wo Sie sitzen, er hat mit uns gegessen, er hat mein Kind auf dem Arm gehabt, natürlich bin ich sicher, was denken Sie von mir?«
    Flammend rote Flecken prangten auf ihrem Gesicht und ihrem Hals. Ihre Hände lagen, zu Fäusten geballt, auf dem Tisch. Sie war überfordert und hysterisch, verstand nicht, was vor sich ging. Sie hatte den Hof mit ihrer Tochter am frühen Abend verlassen, weil ein Kabelbrand die Scheune zerstört hatte und weitere Schäden drohten. In ein paar Tagen wären sie zurückgekehrt, bis dahin sollten neue Leitungen verlegt worden sein. Doch dann hatte der Polizistenvetter ihres Mannes angerufen, und noch auf dem Weg zu ihren Eltern war sie umgedreht. Zwei Stunden nach ihrer Abreise saß sie wieder in ihrer Wohnstube. Kripobeamte befragten sie, ihr Mann verschwunden, der Vetter wollte sich für die Nacht im Gästezimmer einquartieren. In der Ferne waren Hubschrauber zu hören, auf der Rückfahrt hatten sie Straßensperren passiert.
    Und es würde vielleicht noch schlimmer kommen.
    »Wann war er hier?«, erkundigte Schneider sich.
    »Gott, Sie stellen Fragen.«
    Je größer die Angst wurde, desto schnippischer ihre Antworten. Adamek verstand sie. »Wir suchen nach ihm. Nach Ihrem Mann. Mehr können wir im Moment nicht tun.«
    » Sie suchen nicht nach ihm, Sie sitzen hier herum.«
    Adamek lächelte. »Die Kollegen.«
    »Werden sie ihn auch finden?«
    »Ich hoffe es.«
    Theresa Bachmeier nickte mechanisch. Ihre Hände wanderten zum Hals, die Finger rieben über die geröteten Stellen.
    »Nicht kratzen«, sagte Adamek. »Bitte, das macht es nur schlimmer.«
    »Mein Mann …«
    »Nicht kratzen …«
    »Wo ist mein Mann?«
    »Ich weiß es nicht. Sie … jetzt bluten Sie.«
    Sie starrte auf die rot gefärbten Fingerkuppen ihrer rechten Hand. Schneider reichte ihr ein Taschentuch, sie hielt es sich an den Hals. »Ich verstehe das alles nicht.«
    »Dann

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