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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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25. August 1995.
    Drei alte serbische Zivilisten, zwei kroatische Kämpfer, die Rache wollten.
    Sie würfelten um die Opfer. Nino Bebić, der hasserfüllte Polizist aus Zagreb, gewann jedes Mal.
    Während er den drei Serben die Kehle durchschnitt, fanden die Soldaten einen vierten Dorfbewohner, einen alten Mann.
    Deiner, sagte Nino Bebić großzügig.
    Um zu überleben, verriet der alte Mann das Versteck zweier weiterer Serben. Kurz darauf lagen sechs Tote in Zadolje, und es stand drei zu drei.
    Thomas Ćavar hatte lange nicht an Zadolje gedacht.
    Wie aus weiter Ferne hörte er das Wimmern des alten Serben, der zwei Nachbarn dem Tod ausgeliefert hatte, um sich selbst zu retten. Glaubte schweißfeuchtes Haar in seiner Hand zu spüren, den harten Schläfenknochen unter der Mündung seiner Pistole.
    »Wenn du damals geschossen hättest, wäre dir und deinen Leuten viel erspart geblieben«, sagte Saša Jordan.
    Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
    Wenn er geschossen hätte, wäre auch er zum Mörder geworden, wie Nino Bebić und Saša Jordan und viele andere. Er wäre nicht desertiert, nicht inhaftiert worden, nicht geflohen, er hätte keinen anderen Namen angenommen, um nicht gefunden zu werden. Niemand hätte ihn gesucht.
    Mörder und Komplizen.
    Er hätte Jelena für immer verloren, Mord hätte sie ihm nie verziehen. Lilly wäre nicht geboren worden.
    Dafür wäre Mägges noch am Leben gewesen.
    Ich will nicht sterben, Tommy … Ich will nicht sterben …
    Er drehte den Kopf zurück.
    Er lag geknebelt und gefesselt auf einem kalten Betonboden, trug noch immer die Augenbinde, die Jordan ihm in Hamburg angelegt hatte.
    Sie waren etwa eine Stunde gefahren, eine Weile Autobahn, dann über Land. In einer Garage hatten sie ihn aus dem Kofferraum geholt. Stjepan, der Kroate, dem die Garage und das Haus gehörten, war nicht begeistert gewesen. Ihr habt eine Geisel? Davon war nicht die Rede!
    Es ist anders gelaufen als geplant.
    Ihr könnt nicht mit einer Geisel herkommen, Saša!
    Nur für ein paar Stunden, höchstens bis morgen früh.
    Zwei Stunden, dann verschwindet ihr!
    Schon gut, Stjepan. Wir ruhen uns aus, und dann bist du uns wieder los.
    Wer ist der Mann?
    Ein Verräter unserer Heimat.
    Ein Verräter unserer Heimat? In welcher Zeit lebst du? Der Krieg ist vorbei, Mann!
    Grummelnd hatte Stjepan sie in die Wohnung geführt, durch in den Angeln quietschende Türen, vorbei an geöffneten Fenstern, hinter denen Blätter im Wind raschelten. Thomas hatte Wiesen gerochen, Dung, die vertraute salzig-feuchte Luft der Küstenregion. Also hatten sie den Norden nicht verlassen.
    Über eine schmale Steintreppe waren sie in den Keller gelangt.
    Stjepan hatte eine Waschmaschine in Gang gesetzt. Damit euch auf der Straße niemand hört.
    Gorenje, hatte Jordan gesagt und gelacht.
    Klar, was sonst. Suchen sie euch?
    Ja.
    Dann will ich keinen von euch oben sehen, klar? Ihr bleibt mit eurem Verräter hier unten. In zwei Stunden verschwindet ihr.
    Jordan war zu ihm getreten, kniete sich neben ihn, er spürte einen Schuh an seiner Seite, die traurige, leise Stimme dicht an seinem Ohr. »Aber du hast nicht geschossen.«
    »Nein«, flüsterte er.
    »Du hast plötzlich verstanden, dass du nicht für den Krieg gemacht bist … Aber warum hast du nicht einfach den Mund gehalten und weggeschaut wie andere, denen es so ging wie dir? Warum hast du dich gegen deine Kameraden gestellt? Du hast die Befehle deiner Vorgesetzten missachtet, deine Heimat verraten, bist desertiert, und dann hattest du nicht einmal den Mut, die Strafe dafür auf dich zu nehmen.«
    Eine Messerklinge berührte kühl seinen Hals. Jordan löste das Band um Thomas’ Mund. »Nicht schreien, Kapetan.«
    Ein Rascheln, Schritte, die sich entfernten.
    Er richtete sich auf. Mit dem Ellbogen stieß er gegen eine Wand, er rutschte nach hinten, lehnte sich an.
    Jordan sprach weiter. »Im Krieg hebt man die Waffe und schießt, oder man nimmt einen Stift und macht Schreibdienst. Viele andere Alternativen hat man als Soldat nicht.«
    »Warum musstest du ihn töten?«, stieß Thomas hervor.
    »Sprich Kroatisch«, sagte Jordans Begleiter. »Oder kannst du es nicht mehr?«
    »Egal, Igor«, sagte Jordan. »Du meinst den tapferen, dummen Mägges? Wäre dir dein Bruder lieber gewesen? Oder dein Vater? Du hast wieder einen Fehler begangen, Kapetan. Du hast Menschen, die sich nicht wehren können, in dein Geheimnis eingeweiht.«
    Thomas kam auf die Knie, auf die

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