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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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wurde als Beleg für die Kriegslüsternheit der Kroaten?
    Margaret, das ist so abstrus … Warum um Himmels willen hätte Šušak das tun sollen?
    Weil es nicht nur bei den Serben Kriegstreiber gibt.
    Ein Minister feuert eine … Ich bitte dich!
    Ruf Reihl-Kir an.
    Wer zum Teufel ist das? Ich kenne ihn doch gar nicht!
    Lohnt sich bestimmt, ihn kennenzulernen.
    Dann müsste ich auch mit Tausenden anderen Provinzbeamten telefonieren!
    Knochige Finger pochten ihm auf den Arm, Friedrich Kusserow bellte ihm gegen den Lärm ein »Ehringer!« in die Flanke.
    Sie gingen in den ebenfalls überfüllten Biergarten hinaus.
    »Hier, sehen Sie.« Lächelnd entfaltete Kusserow ein Exemplar der Berliner Nachrichten vom Folgetag. Nur ein riesiges Wort in der oberen Hälfte, BERLIN , in Versalien, Fettdruck, mit Ausrufezeichen.
    »Alle Achtung, Sie haben vorgedruckt?«
    »Vierhunderttausend Stück.«
    »Und wenn es Bonn geblieben wäre?«
    »Wir haben seit Wochen Stimmen gezählt. Schlimmstenfalls wäre es 330 zu 328 ausgegangen.«
    »Wussten Sie, dass der Außenminister extra wegen der Abstimmung zurückkommen wird?«
    »Wir haben dafür gesorgt, dass man es für nötig hielt.«
    Ehringer brachte ein Lächeln zustande. Er erinnerte sich an die Schlagzeile vom Vortag. »Es wird knapp!«, hatten die Nachrichten getitelt.
    Kusserow reichte ihm die Zeitung, er bedankte sich, faltete sie und schob sie sich hochkant in die Jacketttasche.
    »Ich weiß, Sie wären lieber in Bonn geblieben.«
    »Allerdings.«
    Kusserow tätschelte ihm den Arm. »Immer hübsch klein und in Deckung bleiben, nicht wahr? Die Welt will es anders, Ehringer. Sie wartet auf ein seiner Größe und wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend repräsentiertes Deutschland.«
    »Im Reichstag.«
    »Richtig. Dort ist nun einmal seit alters der Sitz des deutschen Parlaments, Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich. Hätten Sie den amerikanischen Kongress wegen Vietnam aus dem Kapitol vertrieben?«
    »Ein etwas gewagter Vergleich, finden Sie nicht?«
    Kusserow grinste spitzbübisch. »Zitieren Sie mich nicht, ich habe Alkohol getrunken, zum ersten Mal seit neunzehn Jahren.« Er beugte den Arm. »Hören Sie?«
    Ehringer glaubte es knacken zu hören.
    »Ein Glas Sekt, und meine Gelenke krachen wie morsches Gebälk. Was sagen Sie zur KSZE -Erklärung?« Kusserows Züge verzerrten sich vor Abscheu, als hätte er ein Stück verfaulten Fisch im Mund. Strähnen seines vollen weißen Haars lösten sich und fielen ihm in die Stirn, der Ekel schien ihnen jede Kraft geraubt zu haben.
    Der Außenministerrat der KSZE hatte am Tag zuvor in Berlin seine »freundschaftliche Besorgnis und Unterstützung im Hinblick auf die demokratische Entwicklung, die Einheit und territoriale Integrität Jugoslawiens« bekundet und forderte, dass die zerstrittenen Parteien den Dialog fortsetzten. Eine bizarr dürftige und fast ignorante Erklärung.
    Ebenfalls am Vortag hatte sich der Bundestag in einer Verlautbarung für ein »erneuertes Jugoslawien« ausgeprochen, aber explizit das Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Völker erwähnt. Das schien der Sachlage deutlich besser zu entsprechen. Schließlich wollten sich Slowenien und Kroatien Ende Juni für unabhängig erklären.
    »International ist im Moment nicht mehr drin«, sagte Ehringer.
    »Nun, da sind wir Deutschen weiter. Ich prognostiziere Ihnen, dass wir im Hinblick auf Jugoslawien eine Führungsrolle einnehmen werden.«
    Ehringer hätte nicht dagegen gewettet. Noch schritt die deutsche im Gleichmarsch mit den anderen EG -Regierungen. Aber Kohl und Genscher waren sentimental und anfällig für Stimmungen. Und die Stimmung hierzulande begann sich zu verändern.
    Die schrecklichen Bilder aus Borovo Selo, die kriegerischen Töne aus Belgrad, das parteiische Gebaren der Jugoslawischen Volksarmee, die Aggressivität der Krajina-Serben, dazu die traditionelle Verbindung zu den katholischen Kroaten – all dies hatte dazu beigetragen, dass Bevölkerung, Medien und Politik der Bundesrepublik immer deutlicher für Kroatien Partei ergriffen.
    »Geben Sie mir rechtzeitig Bescheid, ich werde den Minister informieren, er soll es nicht als Letzter erfahren.«
    Kusserow lachte hysterisch. »Verzeihen Sie, die Euphorie und der Alkohol … Ich sollte hier vielleicht die Segel streichen.«
    Sie reichten sich die Hand.
    Kusserow trat nahe an ihn heran, ohne ihn loszulassen. »Passen Sie auf Margaret auf. Der Boulevard wird sie am Samstag abschießen.«
    Ehringer

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