Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
bin und dass ich mich nicht für dich ändern werde.«
»Ich will nicht, dass du dich änderst.«
Sie lachte auf. »Nicht sehr natürlich, nur ein bisschen . Du willst mich nur ein bisschen diplomatischer und angepasster und rücksichtsvoller und scheinheiliger. Nicht sehr, nein, nur so viel, dass ich nicht auch noch deine Karriere versaue.«
Er sagte nichts.
»Wir sehen uns zu Hause.« Sie wandte sich ab und schwankte davon.
40
FREITAG, 15. OKTOBER 2010
BERLIN
Der junge Mann aus Rottweil ist wieder hier, Dr. Ehringer.
Dann schicken Sie ihn wieder weg.
Diesmal hat er seine Freundin dabei.
Keine Besucher, verdammt.
Und etwas zu essen.
Hab keinen Hunger.
Aber es duftet so gut, Dr. Ehringer …
Dann essen Sie’s.
Sind Sie sicher? Es sind selbstgemachte Tschewapitschi.
Die Ćevapčići hatten ihn umgestimmt. Zumindest hatte er das in jenem Moment gedacht. Inzwischen wusste er, dass es natürlich nicht um Hackfleischröllchen gegangen war.
Thomas’ Rettung aus den Klauen der Rottweiler Staatsanwaltschaft war das letzte gemeinsame »Projekt« von Margaret und ihm gewesen. Nur deshalb hatte er die beiden in sein Krankenzimmer gelassen – die ersten Besucher nach Margarets Tod.
Schüchtern hatten sie sich an den Tisch gesetzt, Thomas mit der Russenmütze auf dem Kopf, die in Alufolie eingeschlagenen Ćevapčići in den Händen, Jelena mit Handschuhen und Schal und Tränen in den Augen.
Vor den Fenstern Schnee, das Land weiß und stumm im März 1992. Drinnen Schweigen.
Nicht weinen, hatte Ehringer schließlich geflüstert.
Jelena hatte genickt und zu weinen begonnen.
Ehringer, wie damals in Schlafanzug und Bademantel, saß im Rollstuhl auf seinem Balkon und blickte über die Brüstung in den dunklen Morgenhimmel. Kälte strich ihm feucht über Gesicht und Nacken. Unsichtbare Vögel zwitscherten durcheinander, ähnlich den Stimmen und Erinnerungen in seinem Kopf.
Nein, danke, wir haben schon gegessen, die sind nur für Sie, Dr. Ehringer, meine Mama hat gesagt: Die bringt ihr ihm mit; wer was Gutes isst, der fühlt sich gleich ein bisschen getröstet. Aber eine oder zwei würde ich schon nehmen, wenn Sie …
Und die müde, erschöpfte Stimme des Neffen: Er lebt, Richard. Er hat seit 1995 in Hamburg gewohnt, mit Jelena und seiner Tochter. Marković’ Leute haben ihn heute Nacht entführt.
Was sagst du da?
Dass dein Thomas am Leben ist, aber vielleicht nicht mehr lange.
Maßloser Zorn überkam ihn. Marković, den er wider besseres Wissen immer für einen ehrenwerten Gegner gehalten hatte. Hatte auf seinem Sofa gesessen, an seinem Tisch. Hatte ihn belogen, benutzt, zum Narren gehalten.
Die Balkontür wurde aufgerissen.
»Was machen Sie hier draußen, Mann?«, rief Wilbert.
»Nachdenken.«
Ein flauschiger Berg aus Wolle und Haaren trat in sein Blickfeld. »Hier friert Ihnen doch das Hirn ein.«
»Verschwinde, Wilbert.«
»Warum sind Sie überhaupt schon auf?«
»Um einmal ein paar Minuten allein zu sein.«
»Hat schon jemand die Verbände gewechselt?«
»Glücklicherweise nicht.«
Der Berg verschwand. »Ich bin drinnen, falls Sie aufgetaut werden wollen.«
»Ja, ja. Übrigens, kann sein, dass ich dein Auto-das-kein-Auto-ist heute oder morgen brauche.«
Ein fröhliches Lachen füllte den Himmel. »Der Doc hat wieder Druck, was?«
Rrrums, die Balkontür.
Nein, kein Druck in den Lenden, sondern ein Vorname, tief in seinem Gedächtnis: Dietrich …
Dann wieder eine andere Stimme: Ivica Marković, der wenige Tage vor der Rottweiler Rettungsmission aufgelöst vor ihrer Tür gestanden hatte, nicht im Maßanzug diesmal – die Not hatte ihn die Etikette vergessen lassen –, sondern im ausgeleierten Sweatshirt, er rang die Hände, bis sie ihn hineinließen und erfuhren, dass Thomas Ćavar versucht hatte, eine Lkw-Ladung Waffen nach Kroatien zu bringen.
Wer?, hatte Ehringer gefragt.
Margaret hatte ihm auf die Sprünge geholfen. Der Junge mit der Russenmütze. Die Demonstration in Frankfurt, du weißt schon.
Der mit dem Auto aus Stuttgart gekommen und im Schnee stecken geblieben ist?
Ein Anblick, den Ehringer nie vergessen würde. Der große Alte mit dem zerfurchten Gesicht, der schmale Zwanzigjährige mit der Uschanka, beide schneebedeckt.
Ich bin Herrn Josips Chauffeur …
Marković hatte an jenem Sommerabend 1991 den Prediger gegeben, der vor Gram über das Schicksal eines seiner Schäfchen der Verzweiflung nahe war. Frau Dr. Ehringer, ich flehe Sie an, helfen Sie … Da hat
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