Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
ein dummer Junge einen dummen Fehler gemacht … Lassen Sie ihn nicht sein Leben lang dafür büßen! Helfen Sie ihm, damit er auf den rechten Weg zurückkehren kann!
Der linke wäre besser, hatte Margaret gesagt.
Herr Dr. Ehringer, ich bitte Sie! Im Gefängnis wäre er verloren!
Ich soll …? Einen Staatsanwalt …? Ausgeschlossen! So etwas tue ich nicht!
Margaret hatte sich bei ihm eingehakt und gesagt: Gehen Sie, Marković, ich kriege ihn schon rum.
Allzu lange hatte sie nicht gebraucht.
Sie hatte die Rettung von Thomas Ćavar zu ihrer Mission gemacht. Eine Stunde lang hatte sie auf ihn eingeredet, eine Stunde lang hatte er sich auf seine Integrität und seine Würde berufen und sich geweigert. Doch plötzlich begriff er, dass es auch um ihre Rettung ging. Wenn sie dem Jungen halfen, würde alles anders werden, würde alles wieder gut werden.
Drei Tage nach Marković’ Besuch fuhren sie nach Rottweil.
Erst jetzt, fünfzehn Jahre später, verstand Ehringer, weshalb Marković so viel an der »Rettung« von Thomas gelegen hatte: Als Chauffeur von Josip Vrdoljak war der Junge die einzige offizielle Verbindung zur HDZ Stuttgart gewesen. Ohne Thomas hatte sich die ganze Schmuggelaktion von der Anbahnung des Geschäfts in der kroatischen katholischen Mission in Ludwigsburg über die Beschaffung der Waffen bis zum gescheiterten Transport als Privatinitiative darstellen lassen, als beinahe verständlicher Versuch baden-württembergischer Emigranten, der bedrohten Heimat beizustehen.
Es hatte funktioniert. Niemand hatte Vrdoljak oder die HDZ zur Rechenschaft gezogen. Geschweige denn sich bis zu Marković durchgearbeitet.
Das Gespräch mit dem Staatsanwalt, für das er sich noch heute schämte … Ein junger, eifriger, aufstrebender Mann, der an einem verregneten Juli-Vormittag die letzten Ideale über Bord geworfen hatte.
Ach, kommen Sie, der Junge ist kein Krimineller, er hatte ausschließlich ideelle Motive. Er war nicht von Profitsucht getrieben, sondern von Verzweiflung – wir alle wissen, was in der Heimat seiner Eltern geschieht.
Bei allem Respekt, Dr. Ehringer: Er war drauf und dran, gegen das Embargo zu verstoßen!
Das zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft war. Guter Mann, wollen Sie den Jungen wirklich in die Hölle schicken? Abgesehen von diesem Vorfall ist er ein Paradebeispiel für die Integration von Gastarbeiterkindern in unsere Gesellschaft. Geben Sie ihm noch eine Chance! Er wollte doch nur die Anerkennung seines Vaters gewinnen.
Sie verlangen, dass ich auf eine Anklage wegen Waffen…
Ich verlange es nicht, ich bitte Sie darum.
Ehringer hatte ein paar Namen fallen lassen, eine Einladung zu einem Mittagessen mit alten Bekannten ausgesprochen – und seine Zusage bekommen. Zwei Stunden später hatten sie in einem Stuttgarter Nobelrestaurant gesessen und mit dem baden-württembergischen Innenminister, dem Stuttgarter Leitenden Oberstaatsanwalt und Margaret über die drohenden Verluste der CDU bei der Landtagswahl im kommenden Jahr diskutiert.
Und Thomas wurde gerettet.
Margaret dagegen nicht. Natürlich nicht. Alles wurde immer schlimmer.
Dann starb sie, und er wurde zum Krüppel, und Thomas machte es sich zur Mission, ihn zu retten.
Aber es ist schön draußen, Herr Dr. Ehringer, wirklich.
Nein, ich will nicht.
Ein kleiner Verdauungsspaziergang …
Ein Spaziergang?
Spazierfahrt, meine ich. Ich schiebe Sie.
Durch den Schnee, ja?
Die haben einen Park hier, und die Wege sind geräumt.
Ich will nicht raus, verdammt. Es ist zu kalt.
Sie können meine Mütze haben. Jelena hat sie genäht, sie ist sehr warm, auch an den Ohren.
Wo ist sie überhaupt, deine Jelena?
Ach, Mittwoch ist doch ihr Tag bei den Großeltern.
Schweigend hatten sie den stillen weißen Park durchquert, ein Krüppel mit Russenmütze im Rollstuhl, ein keuchender Schlaks mit klappernden Zähnen. Viele Monate später hatte Ehringer erfahren, dass Thomas damals schon den ersten Kampfeinsatz hinter sich gehabt hatte und wenige Wochen später wieder nach Kroatien aufgebrochen war.
Nein, nicht allein. Mit einem Freund aus Berlin.
Einem kroatischen Freund?
Einem deutschen. Ein Söldner, aber er ist lustig. Ärgert sich immer über seinen Nachnamen.
Dietrich – und der Nachname?
Ehringer kam nicht darauf.
Erneut wurde die Balkontür aufgerissen.
»Hände hoch«, sagte Wilbert und trat mit Verbandszeug vor ihn.
Seufzend gehorchte Ehringer. »Du bist ein rücksichtsloser junger Mensch.«
»Und Sie sind ein
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