Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
zog die Hand zurück. Schweigend sah er in die wässrigen, geröteten Augen.
»Angeblich ist ein Kommunenfoto aufgetaucht, auf dem sie für eine Studentenzeitung von 1969 nackt mit vier jungen Männern posiert. Dazu gibt es ein Interview mit ihrem Exmann, es ist von gewissen … Praktiken die Rede. Wir werden nicht mitmachen, aber das wird nichts ändern.«
»Können Sie es stoppen?«
»Wie sollte ich? Leider nicht.«
Ehringer nahm ihm das Bedauern ab.
»Sie wissen, was das bedeutet?«, fragte Kusserow.
»Es ist das Ende ihrer politischen Karriere.«
»Ich meine für Sie.«
Er nickte bedächtig.
Wenn er sich nicht wappnete, würde auch er fallen.
Er suchte sie, fand sie nicht. Aber sie hatte Spuren hinterlassen.
»Sie ist hackedicht«, sagte ein Parteifreund. »Und auf Krawall gebürstet.«
»Ich entschuldige mich für alles, was sie gesagt hat.«
»Entschuldige dich morgen noch mal, dann bleiben wir Freunde.«
Ein altgedienter CSU -Innenpolitiker sagte: »Sie kam mir sehr … Wer ist Josef Reihel …?«
»Josip Reihl-Kir?«
»Man solle ihn anrufen, er habe ganz andere Geschichten zu …«
»Bringen Sie sie heim, Dr. Ehringer«, sagte seine Sekretärin. »Sie ist betrunken. Und verzweifelt, wenn Sie mich fragen.«
»Das tue ich gerade, oder?« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Entschuldigung.«
»Zum Glück ist Gansel nicht hier«, sagte eine Genossin Margarets. »Er würde ihren Parteiausschluss beantragen.«
»So schlimm?«
»Schlimmer.«
Das Gansel-Papier.
Norbert Gansel, stellvertretender Vorsitzender der SPD -Bundestagsfraktion, hatte nach einer Jugoslawienreise Ende Mai die Grundposition der Fraktion formuliert. Ehringer fand die vierseitige Erklärung einigermaßen differenziert und ausgewogen. Immerhin erwähnte sie die nationalistischen Tendenzen Kroatiens, für die ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit blind war und auf die Margaret seit Monaten hinwies.
Margaret jedoch nahm nur einen Satz wahr: Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker müsse Vorrang haben. Und alles andere ist egal! Krieg? Na wenn schon! Vergewaltigte Frauen, getötete Kinder, zerstörte Städte, internationale Krise? Scheiß drauf! Hauptsache, wir achten das Selbstbestimmungsrecht der Völker! Natürlich nur der Völker in den ehemals kommunistischen Staaten. Nicht, dass die Basken oder die Katalanen oder die Flamen oder die Tamilen glauben, das würde auch für sie gelten.
Er suchte weiter.
Schickte eine Außenamtsmitarbeiterin auf die Damentoilette. Warf einen Blick auf die Straße hinaus.
Begann sich Sorgen zu machen.
Im Biergarten stand sie plötzlich neben ihm, drängte sich an ihn, sagte, er dürfe sie doch nicht einfach allein lassen, ohne ein Wort zu sagen, sie habe ihn gesucht, plötzlich warst du weg, ich dachte schon, ich weiß nicht, was ich dachte, ich drehe mich um, und du bist einfach weg … Ihre Pupillen geweitet, die Augen feucht, der Atem roch stark nach Alkohol. Sie schlang die Arme um ihn und murmelte: »Lass uns vögeln, Vortragender Legationsrat Erster Klasse … gleich hier, wir mieten uns ein Zimmer, und …«
»Komm«, sagte Ehringer. Er fasste sie um die Taille, führte sie durch den Gastraum auf die Straße hinaus. Sie gingen ein paar Schritte in die Dunkelheit, blieben stehen.
Ich bin nicht kompatibel …
Etwas war mit ihr geschehen in den vergangenen Monaten. Sie stand vor einem Abgrund, der lange Zeit verborgen gewesen war, selbst in den schlimmen Jahren. Jetzt hatte er sich aufgetan – in den guten Jahren.
Der Zeit mit ihm.
Kusserows Warnung ging ihm durch den Kopf. Sie mussten darüber reden. Margaret musste vorbereitet sein.
Aber nicht heute, nicht hier.
»Sag’s schon, Richard.«
Er senkte den Blick. Verdammt, was du tust, fällt auch auf mich zurück! »Du bist betrunken.«
»Na und?«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Du beleidigst die Kollegen.«
»Das sollten sie gewöhnt sein.«
»Es betrifft auch mich, Margaret. Ich bin …« Er brach ab.
Er verstand nicht, wo der Fehler lag, wie sie an diesen Punkt hatten kommen können. Alles hatte so wunderbar begonnen, war noch immer wunderbar, sie liebten einander nicht weniger als damals. Keine Konkurrenz, kein Neid, jeder Erfolg des anderen wurde als eigener empfunden. Trotzdem eskalierte etwas, tat sich der Abgrund auf.
Sie zitterte jetzt, und er dachte, dass er sie gern in die Arme genommen hätte. Er traute sich nicht.
»Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass ich kompliziert
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