Der Kalte
sagten nichts. Plötzlich rief einer:
»Was, der Kammerschauspieler Bonker ist tot? Wieso wissen Sie das? In der Zeitung steht nichts.«
»Der wird grad jetzt aus dem Oswald & Kalb abgeholt. Und Kammerschauspieler war er nicht.«
Der Ober blieb bei Fraul stehen.
»Haben Sie noch einen Wunsch?« Karl setzte sich nieder.
»Er war sehr wichtig für dich?« Rosa legte ihre Hand auf seine.
»Unbedingt«, sagte Karel. Und mit der Stimme Bonkers: »Der Junge wird. Der Junge wird.« Fraul grätschte den Mund.
»Und was werd ich? Nix, ein Jämmerling werd ich, bin ich, bleib ich.«
»Wolltest du mir das wieder sagen? Hab ich deshalb herkommen sollen?«
»Ach, der arme Vater. Jetzt muss er ganz allein in der Holland die Wände anschweigen.«
»Er hat einen Panzer um. Man kann nichts machen«, sagte Rosa und zog ihre Hand zurück. »Verstehst du das nicht?«
»Und ich hab keinen Panzer?«
»Noch keinen.«
»Du meinst, ich werd einmal so wie er? Ohne Auschwitz? Keine Chance!«
»Schon gut.«
»Dem Bonker hat sein ganzer Jovialitätspanzer gar nichts genutzt. Wie kann ein gesunder Mensch einfach umfallen. Man sieht nicht einmal, dass das Leben aus ihm entwichen ist. Er schaut aus wie grad noch und ist wer ganz andrer.« Karl schaute seine Mutter an. »Nur die Röte, die ständige Röte in seinem Gesicht war weg. Er ist sozusagen leichenblass geworden.«
»So ist das.«
Wie rede ich mit ihr, fuhr es Karl ins Gehirn. »Du glaubst, Vater kann nichts dafür?«
»Freiwillig hat er sich nicht angepanzert«, sagte Rosa, und ihre Augen trübten sich etwas ein, indes sie weiterredete. »Er war immer nahfern. Als wir uns kennenlernten, nannte ich ihn eine Zeit lang mein Nahferner.«
»Nahferner«, wiederholte Karl leise. »Nahferner.« Rosa zuckte mit den Schultern.
»Jetzt habe ich dir ein Geheimnis verraten.« Sie lachte und hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
»Und war er immer schon so kalt?«
»Er ist nicht kalt. Mit den Jahren ist er halt ein bissl ausgekühlt. Wir kühlen alle im Alter aus.«
»Das stimmt nicht.« Karl verzog das Gesicht. »Wenn ich dich nicht hätte …«
»Und wenn ich dich nicht hätte«, sagte Rosa. Karl merkte, dass seine Mutter ihn zugleich direkt ansah und durch ihn hindurchschaute.
»Alle sagen, es ist blöd, dass ich mir die Schuld an Margits Schwimmreise gebe. Aber wer denn? Irgendwie hab ich sie in die Donau geschmissen.«
»Alle schmeißen alle irgendwohin. Da gibts keine Schuld.« Karl schaute seine Mutter überrascht an.
»Das könnte ja jemand in einer Theaterrolle sagen.«
»Ich meine«, sagte Rosa, »du tust dich gern manchmal überschätzen. Du hast doch nicht die Macht gehabt, eine solche Krankheit, so eine Meschiggassn in Margit zu erzeugen.«
»Doch. Das ist doch mein Beruf.«
»Auf der Bühne ist das etwas anderes.« Rosa schloss die Augen.
Zum ersten Mal seit Margits Tod spürte Karl in sich etwas Geschmeidiges. Während sie noch eine gute Stunde ruhig und einander zugewandt sprachen, kamen bei Karl Fraul frühere Bilder zurück; er sah wieder die wiegenden Hüften von Astrid, und in seiner Hose wuchs es, er hatte das Gefühl, als wären irgendwelche Gewichte seiner Brust entnommen worden oder das Steingut, das sie erzeugten, hätte sich zu feinem Sand aufgeweicht und rieselte und kitzelte ihm in Gedärm und Hoden.
»Jetzt kann ichs dir ja sagen, Mama. Einen Moment hab ich den Bonker beneidet, als er da so von der Zischka zu Boden gerutscht war. Alle umstanden ihn. Sogar Muthesius war für einen Moment baff, obwohl der doch Tod und Krankheit am Laufband erzeugt und dazu lauthals lacht. Es war alles in Ordnung. Du hättest dich gekränkt, Vater hätts kaum bemerkt …«
»Jaja«, unterbrach ihn Rosa, »ich hätt mich gekränkt, und Vater würde es umbringen. Glaub mir.«
»Du bist witzig, Mama. Jedenfalls im nächsten Moment hab ich eine Gier in mir verspürt, dass ich am liebsten …
ich weiß nicht, jedenfalls musste ich dich anrufen. Friede seiner Asche. Wollen wir zahlen?«
Rosa nickte. Am liebsten wäre sie jetzt mit Karel in die Margaretenstraße gefahren. Es schauderte ihr ein wenig vor der Hollandstraße, aber das ließ sie sich nicht anmerken. Als sie vor der Tür des Café Diglas standen, ging Georg Gelernter vorbei und zwinkerte beiden zu.
Edmund Fraul hob den Hörer ab.
»Wer spricht!«
»Hier Rosinger. Stör ich?«
»Sie stören doch immer. Was gibts?«
»Er heißt nicht mehr Eigler. Er heißt Max Josef Hausmann. Hat sich irgendwo
Weitere Kostenlose Bücher