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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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hochhochhoch.«
    Dauendin bog zu ihm ab und umarmte ihn, die Krücke fiel zu Boden, Judith Zischka und Apolloner bückten sich gleichzeitig nach ihr. Roman wartete ab, bis die beiden Schauspieler sich genügend Schultern und Rücken abgeklopft hatten, und reichte Dauendin die Krücke. Der ging endlich zu seinem vorgesehenen Platz, und die Veranstaltung nahm ihren Anfang. Nach einigen Reden, Sketches und einem kleinen Filmchen, einem Zusammenschnitt der Rollen aus den letzten zwei Jahrzehnten, wurde das Geburtstagsmenü aufgetragen. Immer wieder erschienen neue Gäste, darunter Bürgermeister Purr, seine Kulturstadträtin Ebner, das Ehepaar Krieglach, Tschonkovits, der den Geburtstagsgruß vom Kanzler verlas, nachdem er fast eine Minute lang den Teelöffel gegen sein Weinglas geklopft hatte, denn die Stimmung war schon recht ausgelassen. Nach einer Stunde erschien Wanja, baute sich auf und sagte in die allmählich ruhig gewordene Menge: »Ein Überraschungsgast.« Hinter seinem Rücken erschien Raimund Muthesius, stand unbewegt und mit mokantem Lä
cheln da und guckte zum Jubilar. Dauendin stand auf, ergriff die Krücke und ging dabei etwas tänzelnd auf den Dichter zu. Muthesius verneigte sich tief vor Dauendin, Dauendin verneigte sich noch tiefer vor Muthesius, die Menge lachte, und Bonker rief:
    »Na, das is'n Ding.«
    Indes Dauendin Wanja die Krücke in die Hand drückte und Muthesius umarmte, kippte Bonker seitlich auf die Schulter von Judith Zischka, rutschte von dort ab und fiel vom Sessel. Apolloner beugte sich hinunter, Judith kniete sich nieder.
    »Haben Sie sich verletzt?«
    Das Geräusch, das der Sturz Bonkers erzeugte, ließ die Gesellschaft verstummen, sodass man ein leises Geröchel vernahm. Bonkers Augen waren geöffnet, aber die Pupillen nach oben gewandert. Judith konnte keinen Blick in seinen Augen finden.
    »Einen Arzt, die Rettung«, rief sie.
    Wanja drehte sich um und lief zum Telefon. Tschonkovits eilte herbei und begann einige Sessel zur Seite zu räumen. Gemeinsam mit Apolloner legten sie Bonker in die Seitenlage. Muthesius sagte zu Dauendin, ohne dass ihm bewusst wurde, dass er es in eine gewisse Stille hineinsprach:
    »Felix, das Geräusch, also das war ein Geräusch, als ob jemand einen Sack von einem Lkw auf den Gehsteig schmeißt.«
    Wanja kam zurück: »Die Rettung kommt.«
    Judith sah Bonker wiederum ins Gesicht, das verzerrt und unbeweglich war. Sie konnte sehen, wie das Rot aus dem Antlitz wich. Sie tastete nach der Halsschlagader, nach der Schläfe, schaute Roman an. Der nickte, drehte sich um und sagte halblaut:
    »Ich glaube, er braucht keinen Arzt mehr.«
    »Was soll denn das«, sagte Bürgermeister Purr. »Hedwig, sieh nach, was los ist.«
    Herbert Krieglach erhob sich und ging zu der Gruppe, die den toten Bonker umstand. Er hockerlte sich nieder und betrachtete aufmerksam Bonkers blasses Gesicht. Mit einer schnellen Bewegung wischte er darüber hin und schloss auf diese Art Karl-Heinz Bonkers Augen.
    Fraul hatte das Lokal verlassen. Draußen fuhr ihm der Wind ins Gesicht, der sich von Minute zu Minute verstärkte. Ecke Rotenturmstraße und Kai betrat er eine Telefonzelle und rief seine Mutter an. Da Edmund daheim war, wollte Karl nicht kommen, sodass Rosa aufstand, sich fertig machte, um den Sohn im Café Diglas zu treffen.
    26.
    Im Café Diglas war eine gedämpfte Stimmung, als hätten sich die Ereignisse im Oswald & Kalb mittels winziger Wellen bis zum Diglas fortgepflanzt und erzeugten dort nun eine sowohl verdatterte als auch feierliche Ruhe. Karl Fraul setzte sich zu einem Fensterplatz und schaute auf die Strobelgasse hinaus, bis ihn der Ober um seine Bestellung bat. Er verlangte ein Viertel Rot, rief den wegeilenden Ober aber zurück, um sich stattdessen mit einem Tomatenjuice zu begnügen. Der Zeichner Georg Gelernter bemerkte Fraul durchs Fenster, er machte ihm eine Geste und kam um die Ecke herein und direkt an den Tisch von Fraul.
    »Im Kalb haben sie eine geschlossene Gesellschaft, weißt du davon?«
    Fraul, der nichts dagegen unternehmen konnte, dass sich Gelernter zu ihm setzte, wollte antworten, da sprach der
Zeichner bereits mit seiner rostig-schleifenden Stimme weiter. »Ich bin jedenfalls dazu nicht eingeladen worden.«
    »Dauendin feiert Geburtstag. Den kennst du doch eh nicht.«
    Gleich würde Gelernter den Verdacht äußern, es handle sich um puren Antisemitismus, weil man ihn, der Stammgast im Kalb sei, nicht auf die Gästeliste gesetzt habe. Stattdessen

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