Der Kalte
stierte den Schirm an, auf dem ein Bagger zu sehen war, welcher ausgemergelte Leichen in eine Grube schob. Schon wieder Nacht und Nebel, dachte er und setzte sich auf. Er verstand verärgert, dass die Sendung mittels der Leichenberge in die NS -Zeit einführen wollte, um hernach mit einer Sondersendung zum Fall Wais zu beginnen. Den sah Fraul nun wahlkämpfend zu den Menschen draußen sprechen. Er hatte unversehens einen gelben Helm auf dem Kopf und durchging einen metallverarbeitenden Be
trieb. Es folgte ein Ausschnitt von der Pressekonferenz, auf der Wais sich gerechtfertigt hatte, dazwischengeschnitten war der Ausspruch von Marits über das Pferd, welches statt Wais bei der SA gewesen war. Ein Foto wurde gezeigt, Wais, hochaufgeschossen in einer Leutnantsuniform. Neben ihm kam Doktor Wirths zu stehen, und beide gingen dann die Rampe entlang und auf Fraul zu. Der zog seine Mütze ab und nahm den Apotheker Capesius wahr, der statt Wais lächelnd neben Wirths sich an den ausgestiegenen Leuten zu schaffen machte. Fraul drehte sich um und sah sich im Lehnstuhl sitzen und mit dem Schlaf kämpfen. Er trat zu ihm hin und stand auf, ging die drei Schritte zum Fernsehgerät und drehte ab. Wieder hörte er den Nachhall der Wohnungstür. Er kam sich blöd und ein bisschen alt vor, als er sich dabei ertappte, wie er leise zur Eingangstür schlich. Er hatte sich nicht getäuscht. Rosa stand im Vorzimmer mit einem Strick in der Hand, bemerkte Edmund und hielt ihm sofort diesen Strick hin.
»Musst du den Draht in die Hollandstraße mitschleppen?«, hörte er sich rufen. »Willst du den Draht überallhin mitbringen?« Von diesem Satz wachte er auf, saß mit Kaltschweiß im Lehnstuhl, aus dem Fernsehen klang die Werbung vom weißen Riesen.
Fraul drehte den Apparat ab und ging ins Bad. Es läutete. Draußen standen die Staneks.
»Was ist?«, fragte Fraul und bemerkte den Knurrton in der Stimme.
»Alles in Ordnung, Herr Fraul?«, fragte die Nachbarin.
»Du siehst ja, alles in Ordnung«, sagte Herr Stanek und zog seine Frau weg.
»Entschuldigen Sie«, sagte Edmund Fraul. »Der Fernseher war zu laut. Tut mir leid.«
»Gar nicht, gar nicht, alles in Ordnung«, sagte Herr Stanek.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte Frau Stanek.
»Aber geh, Susi. Alles in Ordnung. Guten Abend, Herr Fraul.« Und das Ehepaar ging in seine Wohnung zurück.
Fraul stand noch einen Moment in der Tür. Er begann zu lauschen, ob sich noch jemand im Stiegenhaus befand, riss sich los, warf die Tür hinter sich zu. Er wurde gewahr, dass er womöglich Rosa entbehrte, wischte durch Kopfschütteln diesen Gedanken aber fort.
Das Telefon läutete.
Karl Fraul setzte sich seiner Mutter gegenüber hin. Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange, sie lächelte ihn an und versuchte auf unauffällige Weise etwas aus seinen Augen herauszulesen. Um hiebei nicht zu aufdringlich zu erscheinen, unterbrach sie den Forscherblick durch häufige Wimpernschläge.
»Mama, du schaust mir ja das Weiße aus den Augen heraus.«
»Du bist sehr mager geworden.« Rosa klopfte sich, indes sie dies lächelnd zu ihm hin flüsterte, sachte auf ihr Schlüsselbein.
»Ich bin, wie ich bin.« Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen das Fenster. Draußen gingen häufig Leute vorüber, obwohl die Geschäfte längst geschlossen hatten.
»Was los in der Stadt«, fuhr er fort. Rosa wartete, bis er weiterspräche, folgte seinem Blick und sah auch aus dem Fenster. »Ich war vorhin bei Dauendins Geburtstagsparty im Kalb. Einschlägige Leute – also Kollegen –, anderer Menschenmix, ich hab gedacht, schön, dass ich noch keine fünfzig bin, wollte mich wieder mal zeigen. War eh ganz wunderbar. Den Bonker hats aufs Gesicht geschmissen.«
»Ich versteh nicht.«
»Tot umgefallen.«
»Wer?«
»Bonker, Mama, der alte Deutsche, der allgegenwärtige King Lear und bei mir der King Duncan. Flutsch, und er ist auf die Schulter einer Journalistin gerutscht, von dort auf den Fußboden, und weg war er.«
»Hat er nicht ganz große Stücke auf dich gehalten?«, sagte Rosa leise. Fraul lehnte sich zurück, blies die Backen auf und dröhnte, dass die Leute von den anderen Tischen zu ihm hersahen: »Musst du deinen Ehrgeiz auf der Trompete blasen? Ich hab ooch of kleeneren Häusern zu gaukeln angefangen.«
»Karel!«
Fraul stand auf und rief ins Kaffeehaus hinein: »Karl-Heinz Bonker ist tot!« Das Lokalgesumme verstummte, die Gäste schauten Fraul an und
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